„Es ist so leicht für die Führer einer Nation, ihr Land in den Krieg zu führen…“
Am 20. November jährt sich der 70. Jahrestag des Beginns der Nürnberger Kriegsprozesse. Verantworten musste sich zunächst das NS-Führungspersonal, darunter Hermann Göring, Rudolf Heß, Joachim von Ribbentrop und Albert Speer. Doch damit war nicht Schluss: In den weiteren Prozessen ging es u.a. um die „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, darunter fiel vor allem die Verfolgung und Vernichtung der Juden und die Vernichtung „unwerten“ Lebens. Der US-Amerikaner Benjamin Ferencz war Chefankläger im Einsatzgruppen-Prozess gegen Mitglieder der SS. Auch nach den Nürnberger Prozessen widmete sich Ferencz der Ahndung von Kriegsverbrechen und setzte sich unermüdlich für die Einrichtung eines internationalen Gerichts ein. Die Filmemacherin Ullabritt Horn hat Ferencz ein Portrait gewidmet, das den Titel „A man can make a difference“ trägt. Der Film wurde gerade auf dem Filmfestival in Biberach als Bester Dokumentarfilm ausgezeichnet und kommt am 12. November in die Kinos.
Bernd Sobolla: Frau Horn, warum haben Sie sich gerade Benjamin Ferencz ausgesucht, um über Nürnberg zu erzählen?
Ullabritt Horn: Ich habe viele Filme gemacht, viele Portraits über Menschen, die mich interessieren. Meist handelte es sich um Menschen im künstlerischen oder politisch-historischen Bereich. Bei „A man can make a difference“ galt mein Interesse von Anfang an der Person Ben Ferencz. Es ging mir nicht darum, den 70. Jahrestag der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse zu thematisieren. Das Auslöser war etwas anderes: Ich hörte nämlich, dass Ben Ferencz einen fulminanten Auftritt bei der Einweihung des Saal-Memorials in Nürnberg hatte. Das ist der Gerichtssaal als Museum sozusagen. Da waren alle Außenminister der Alliierten versammelt. Er sollte eigentlich nur eine kurze Rede von fünf Minuten halten, so als Zeitzeuge. Und dann hat er über eine halbe Stunde gesprochen und wirklich Tacheles geredet und gefordert: „Ihr seid diejenigen, die die Macht haben. Nehmt endlich ernst, was hier in Nürnberg beschlossen wurde an Prinzipien! Er hat den Anwesenden, gelinde gesagt, ins Gewissen geredet. Die Mienen wurden dann auch etwas säuerlich. Denn keiner hatte mit dieser Vehemenz gerechnet. Ich selber war leider nicht dabei, aber ein Bekannter erzählte mir davon. Das fand ich unheimlich spannend und fragte mich: Was für ein Mensch ist Benjamin Ferencz?
Im Film stellt er sich selbst süffisant als „berühmter amerikanischer Komiker“ vor. Sehen Sie ihn als Mensch mit Galgenhumor?
Ich glaube tatsächlich, dass er ein Mensch mit viel Humor ist. Also er hat manchmal Witze gemacht, wo mir der Atem stockte. Und ganz sicher hängt das mit seinen Traumatisierungen zusammen, die verarbeitet werden müssen irgendwie – oder auch verdrängt werden müssen. Und diese Schwärze des Humors hat sicher auch mit seinen Erlebnissen zu tun.
Benjamin Ferencz wird als Chefankläger bezeichnet. Aber er war wohl kaum der einzige?
Es dreht sich ja im Prinzip um zwei Prozesse. Das eine war der Hauptkriegsver-brecherprozess. Da waren Taylor und Jackson die Hauptankläger. Und als der beendet war, gab es zwölf Nachfolgeprozesse. Diese Nachfolgeprozesse hatten zum einen natürlich die Intention, die Täter zu bestrafen. Aber andererseits hatten sie auch eine pädagogische Funktion. Sie sollten den Deutschen zeigen: Es waren nicht nur Göring, Ribbentrop, Speer und sonstige Verbrecher, sondern es war ein ganzes Geflecht. Die Nachfolgeprozesse waren fast nach Berufsgruppen eingeteilt: von Finanzämtern über Ärzte, über Richter, alle möglichen Bereiche, natürlich auch die SS. Und dann gab es eben diesen Einsatzgruppenprozess. Das war der neunte dieser Prozesse. Und da war Ben Ferencz Hauptankläger.
War Telford Taylor, der Chefankläger des Hauptkriegsver-brecherprozesses, eine Art Mentor von Ben Ferencz?
Telford Taylor hat sicher für Ben Ferencz eine große Rolle gespielt. Er war zum einen der, der Ben zum Chefankläger im Einsatzgruppen-prozess berief, mit 27 Jahren war er der jüngste Chefankläger in Nürnberg. Der Prozess hätte ja nicht stattgefunden, hätte Ferencz bei seinen Recherchen die Akten der Erschießungskommandos nicht in Berlin gefunden. Und nach dem Krieg, als beide wieder in den USA waren, fanden sie ein etwas unwirtliches Land vor. Sie waren keineswegs Helden, sondern stolperten zunächst ein bisschen durch die New Yorker Juristenwelt und konnten nicht richtig Fuß fassen. Ferencz arbeitete dann mit Taylor noch mal in einer Anwaltskanzlei zusammen. Und als Taylor später über den Vietnamkrieg das Buch „Nürnberg und Vietnam“ schrieb, arbeitete Ferencz mit daran bzw. er verfasste das Vorwort für das Buch.
Was war für Benjamin Ferencz die treibende Kraft: War es das grundsätzliche Gefühl für Ungerechtigkeit? Oder die antisemitischen Übergriffe, die seine Eltern in Rumänien erlebten, wo er noch geboren wurde?
Bens Eltern stammten aus bäuerlich, handwerklichen Verhältnissen. Sie lebten in Rumänien bis kurz nach dem Ersten Weltkrieg in großer Armut. Das war auch der Hauptgrund für ihre Emigration. In New York wuchs Ben dann hauptsächlich zwischen Gangs in einem total kriminellen und gewalttätigen Milieu auf. Das prägte ihn sehr. Er entwickelte einen Sinn für den Kampf für Gerechtigkeit. Als er auf dem College war, hat er zwei, drei Sommercamps geleitet, die wurden für Jugendliche aus der Bronx und diesen ganzen schrecklichen Vierteln organisiert, um die jungen Leute auf den rechten Weg zu bringen. Es war eine Art Sozialarbeit mit juristischer Fürsorge. Und das hat ihn wohl begeistert. Das könnte man als Ursprung sehen.

Die Regisseurin Ullabritt Horn hat gerade auf dem Filmfestival in Biberach den Preis für den Besten Dokumentarfilm gewonnen. (photo: Bernd Sobolla)
Ferencz´ Kampf für die Verfolgung von Kriegsver-brechen endet nicht mit Nürnberg und auch nicht mit Vietnam. Vielmehr hat er maßgeblich dazu beigetragen, dass der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag gegründet wurde. Nur als dessen Gründung 1998 in Rom beschlossen wurde, stimmten 120 Länder dafür, die USA aber nicht. Im Gegenteil, sie setzten diverse kleinere Länder unter Druck, nicht dafür zu stimmen. Welchen Stellenwert hat Ben Ferencz in den USA?
Das ist ein bisschen kompliziert. Ben Ferencz kennt natürlich die ganze juristische Welt auf höchster Ebene. Bis hin zum Weißen Haus kennt er die juristischen Berater alle, und sie kennen ihn. Und natürlich lieben sie ihn alle auch. Wie jeder Mensch, dem Ben Ferencz begegnet, weil er ein sehr charismatischer Typ ist. Aber dann kam die Rom-Konferenz 1998, wo es um die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs ging. Da gab es wirklich eine scharfe Auseinandersetzung. Ich bin mir sicher, dass er sehr viel Respekt genießt. Ich glaube, aber auch, dass ihn viele gerne auf die Rolle des ehemaligen Chefanklägers der Nürnberger Prozesse reduzieren möchten. Und wenn es dann noch weiter geht, und er sich zur amerikanischen Militär- und Außenpolitik äußert oder auch zur Ermordung Bin Ladens – und dazu hat er sehr explizit Stellung genommen, auch im Film – dann merkt man, wie sich die Zahl seiner Freunde reduziert.
Mich hat besonders beeindruckt, wie sein Sohn Don, der inzwischen die Arbeit seines Vaters zum Teil übernommen hat, von der heutigen politische Lage einen Bogen nach Nürnberg schlägt und Hermann Göring zitiert: „Es ist so leicht für die Führer einer Nation, ihr Land in den Krieg zu führen. Egal, ob es eine Demokratie ist, eine faschistische Diktatur oder ein kommunistischer Staat. Die Führer müssen den Leuten nur erzählen, dass sie angegriffen werden. Und diejenigen, die dagegen sind, des Mangels an Patriotismus und der Gefährdung des eigenen Landes bezichtigen.“ Und Don Ferencz fährt fort: „Jeder weiß, dass Tony Blair und George Bush ihre Länder angelogen haben. Die Beweise liegen vor. Das liest sich wie aus Görings Lehrbuch. Als ich das las, dachte ich, Donald Rumsfeld muss sich Notizen gemacht haben, als Göring redete.“
Ben Ferencz wollte genau das ändern. Er hat sechs Bücher geschrieben, u.a. über die Definition eines Angriffskrieges, den er als Verbrechen ansieht, sowie über die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs und über die Durchsetzung des Völkerrechts. Und er verfolgte seine Ziele sein ganzes Leben lang. Immer nach dem Motto: „Gib niemals auf!“
Am 12. November startet „A man can make a difference“ im Kino. Die Regisseurin Ullabritt Horn stellt ihr Porträt über Friedensanwalt Benjamin Ferencz zum Kinostart in neun Städten persönlich vor. Startschuss der Kinotour ist die Premiere in Köln am 3.11. Weitere Stationen sind München (4.11.), Biberach (6.11.), Hamburg (8.11.), Berlin (9.11.), Nürnberg (12.11.), Kassel (14.11.), Frankfurt am Main (15.11.) und Wiesbaden (5.12.).