Christoph Hees – Der Popkantor

„Wir sind eines der ärmsten Bistümer Deutschlands, wir brauchen die besten Ideen“

Als das Bistum Essen am Anfang des Jahres eine Stellenausschreibung für zwei Popkantoren veröffentlichte, waren einige Kirchenmitglieder skeptisch: Pop und Katholische Kirche… kann das funktionieren? Ist das nicht zu modern? Führt das nicht vom Glauben ab: weg von der Spiritualität hin zur Unterhaltung? Im April haben die ersten Popkantoren der Katholischen Kirche ihre Arbeit aufgenommen und organisieren seither Workshops für christliche Rock- und Popmusik. Einer von ihnen, der 48-jährige Bassist Christoph Hees, hat sich mit einer Band und 20 Jugendlichen am ersten Oktoberwochenende zum Workshop in der St. Cyriakus Kirche in Bottrop getroffen, um sie mit christlicher Popmusik stärker emotional anzusprechen.  

Popkantor des Bistums Essen, Christoph Hees

Der Bassist und Musiker Christoph Hees arbeitet gemeinsam mit Martin Drazek als Popkantor seit April 2017 für das Bistum Essen.

Bernd Sobolla: Christoph Hees, wie kam das Bistum Essen auf die Idee, Pop-Kantoren einzuführen?

Christoph Hees: Wir haben 2015 den sogenannten Zukunftsbildprozess mit einem Dialogprozess begonnen. Es ging darum, Leute aus verschiedenen Verbänden zu fragen: „Was ist für eine Kirche der Zukunft aus euer Sicht notwendig? Welche Erfahrung macht Ihr vor Ort? Was ist wichtig, strukturell zu verändern? Wo muss man was beachten?“ Da ist zunächst viel gefragt worden. Außerdem gab es auch Zukunftswerkstätten in den Gemeinden. Dabei ist, neben ganz vielen anderen Aspekten, herausgekommen, dass die Kirchenmusik kompletter sein sollte. D.h. nicht, Altes abzuschaffen, sondern zu schauen, was es  noch für Alternativen gibt. Man ist relativ schnell darauf gekommen, dass der ganze Bereich „Praise & Worship“, dazu gehört, sicherlich auch Gospel, aber in erster Linie „Praise & Worship“, weil das mehr nach normaler Popmusik klingt. Dieser Bereich wurde bisher nicht berücksichtigt. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen und gilt für die letzten 30, 40 Jahre. In den evangelischen Kirchen gab es bereits seit den 1970er Jahren Sakro-Pop. Der wurde zum Teil ziemlich gehypet, und daraus hat sich auch im landeskirchlichen und im freikirchlichen Bereich viel entwickelt. Nur im katholischen Bereich gab es nichts Vergleichbares. Im katholischen Bereich gibt es immerhin eine eigene Strömung, nämlich das Neue Geistliche Lied. Das ist in den Gemeinden angekommen und funktioniert auch. Aber es hat keine Pop-Musik-Qualität. Es ist stilistisch auch nicht so verwurzelt wie die Popmusik. Wenn es ein bisschen rockiger oder flockiger klingt oder ein bisschen nach Latin oder afrikanisch. So etwas gibt es im Neuen Geistlichen Lied nicht.

Warum steigen die Leute mit 18, 19 Jahren aus?

St. Cyriakus Bottrop, Popkantor, Firmung

Jugendliche, die im Rahmen ihrer Firmvorbereitung an einem „Praise & Worship“-Workshop in der St. Cyriakus Kirche in Bottrop teilnehmen.

Für „Praise & Worship Musik“ haben sich Leute, die viel Popmusik hören und zugleich gläubige Christen sind, für Gottesdienste, für gottesdienstliche Gebetskreise bzw. Gottesdienst-zusammenhänge aller Art, Popmusik geschrieben und adaptiert –  und zwar fromme Popmusik. Da lag es eigentlich nahe, diese Popmusik genauer zu betrachten. Allerdings muss das Bistum auch vorsichtig sein: Wir sind eines der ärmsten Bistümer in Deutschland, wir brauchen die besten Ideen. Wir befinden uns in einer Situation, wo man nachdenken muss, warum insbesondere junge Leute im Alter von 18, 19 Jahren aus der Kirche austreten? In diesem Alter steigen die Austritte sprunghaft an. Offensichtlich weil sie sich in der Kirche nicht repräsentiert fühlen. Dem ein bisschen entgegenwirken kann natürlich eine Musik, die jungen Erwachsenen und Jugendlichen eher entgegenkommt als es die etablierte Kirchenmusik tut.

 

Ein Brösel in einem Riesenkuchen

Gerade in den letzten drei, vier Jahren wurden viele Kirchen aufgegeben, Gebäude verkauft, Gemeinden zusammengelegt. Das gilt besonders für das Bistum Essen. Steht das Bistum mit dem Rücken zur Wand?

Unsere musikalische Ergänzung ist auch eine Reaktion auf diese Situation. Gleichzeitig gibt es im Generalvikariat in Essen eine große Dialogkultur. Man ist sehr darauf bedacht, immer wieder miteinander zu sprechen, zu reflektieren und sich abzustimmen, um eben solchen Tendenzen in Zukunft vorzubeugen. Wir kommen von einer Volkskirchensituation. Wenn man durchs Ruhrgebiet fährt, sieht man ganz viele Kirchen, die noch in den 70er Jahren gebaut worden sind. Und das sind riesige Kirchen. Die stammen aus einer Zeit, wo Volkskirche wahrgenommen wurde und auch erfahrbar war. Das hat sich demoskopisch und durch gesellschafts-

Popkantor, St. Cyriakus

Die St. Cyriakus Kirche im Zentrum von Bottrop.

kulturelle Vorgaben rasant verändert. Da muss es, was die bauliche Geschichte angeht,  einerseits eine Rückentwicklung geben. Andererseits brauchen wir dafür einen gesunden, intelligenten Prozess. Vor allem müssen wir die Leute beteiligen. Wenn sie beteiligt werden, dann fangen sie auch an, kreativ zu sein. Wir brauchen eine Begrüßungskultur,  eine Kultur der Umwidmung von Kirchengebäuden.  All das ergibt ein neues Kirchenbild, was vielleicht im Moment von außen noch nicht so sichtbar ist. Aber im Innern kann man es schon spüren. Es ist in gewisser Weise auch eine Zeit des Aufbruchs. Und diese Musik ist ein Teil davon, wenn auch nur ein Brösel in einem Riesenkuchen.

Wie reagieren die Gemeinden auf die Popkantoren und die neue musikalische Gestaltung des Gottesdienstes?

Die ist total positiv. Wenn man den altmodischen Begriff für meinen Job nimmt, dann wäre das der koordinierende Kirchenmusiker. D.h. ich sitze viel im Homeoffice, schreibe viele, viele E-Mails, telefoniere mindestens zwei Stunden am Tag und muss ganz viele Leute synchronisieren. Das ist der Job des koordinierenden Kirchenmusikers. Nur dass ich eben nicht im klassischen Bereich arbeite, sondern im modernen Bereich.

Katharina Schedlinski, Popkantor, Bottrop

Die Sängerin Katharina Schedlinski gehört mit zu dem Team, das „Praise & Worship“-Seminare veranstaltet.

 

„Für mich als gläubigen Christen ist das ein Geschenk“

Wie ist die Nachfrage bei den Jugendlichen?

Auch das Feedback der jungen Leute ist total positiv. Oft habe ich das Gefühl, dass sie im ersten Moment  gar nicht wissen, was genau geschieht. Und dann feiern sie mit einer tiefen Konzentration, Beteiligung, ja, Frömmigkeit die Messe. Wir hätten nie gedacht, dass „Praise and Worship“ mit einer katholischen Messe zusammen funktioniert. Denn die katholische Messe beruht auf ganz starken Vorgaben was die Liturgie angeht. Und dass diese Musik da reinpasst, das ist irgendwie ein großes Geheimnis. Ich würde es sogar als Geschenk bezeichnen. Für mich als gläubigen Christen ist das ein Geschenk, eine Gnade, dass ich erleben darf, wie die vielen Planungsbemühungen zu einem Ziel führen. Und das auf eine ganz besonders schöne Weise. Was die Jugendlichen betrifft: Die sind natürlich unsere Hauptzielgruppe. Aber viele Ältere, manchmal sogar 75-jährige, finden das alles total klasse. Wir haben z.B. hier in der St. Cyriakus-Gemeinde mit einem Familienchor gearbeitet. Das waren Leute zwischen 13 und 78 Jahren dabei, und die haben das aller gleichermaßen geliebt, was wir angeboten haben. Wir haben einen Tag lang gearbeitet und abends den Gottesdienst gefeiert. Und das war von der Atmosphäre her einfach toll.

Stefan Glaser ist der Beauftragte für Kirchenmusik des Bistums Essen. Er hat wesentlich dazu beigetragen, Popkantoren im Bistum einzuführen.

 

Ich habe Euch hier bei den Proben lange zugehört, und mich erinnern die Songs ein bisschen an die Baptisten Kirchen in den USA. Spielt Ihr auch Eigenkompositionen?

Eigenkompositionen sind nicht dabei. Ich will auch nicht sagen „noch nicht“, weil wir so was nicht geplant haben. Wir haben zunächst ein organisiertes Projekt von drei Jahren, und das läuft jetzt seit sechs Monaten. Wir sind zwei Popkantoren (der zweite Popkantor ist der 35-jährige Martin Drazek) sowie Stefan Glaser, der Beauftragte für Kirchenmusik des Bistums Essen, und wir holen uns von überall her unsere Eindrücke. Außerdem haben wir eine sehr stringente Herangehensweise und einen ziemlich klaren Dienstleistungskatalog. Den kann man bald auch im Internet auf der Bistumsseite sehen. Dort führen wir dann auf, was wir alles anbieten. Unsere Arbeitswochen sind angefüllt mit Nachfragen und Dialogen. Wobei wir keine klassische Anbetungsveranstaltung machen, wie man es aus dem freikirchlichen Bereich kennt, mit ganz vielen Emotionen und mit großer liturgischer Freiheit. Das machen wir nicht. Wir versuchen, katholisches „Praise & Worship“ zu machen oder uns schenken zu lassen, um mal von dem Machen wegzukommen. Das hat auch mit Intuition zu tun: Man geht mit einer gewissen Intuition rein und sagt: Das kann hier nicht so passen. Da muss man irgendwas anders machen. Wir wollen der Pfarrei oder Gemeinde diese Erfahrung schenken und uns zusammen auf den Weg begeben. Heute z.B. feiern wir abends mit den Firmlingen einen Gottesdienst und reflektieren anschließend darüber: „Was kann man noch anders machen? Was hat sich irgendwie komisch angefühlt unter liturgischen Gesichtspunkten?“ Aus meiner Sicht sind das wichtige Fragen, die, wenn man sich ihrer Beantwortung aussetzt, total fruchtbar sind. So kann wirklich etwas Katholisches daraus werden. Es geht nicht darum, etwas Freikirchliches zu adaptieren, was dort vielleicht funktioniert. Man muss das wirklich sehr genau anpassen.

Interview: Bottrop, 2017