„Ich glaube, Rainer hätte „Welt am Draht“ selbst wieder entdeckt. Aber er ist nicht mehr dazu gekommen…“
Filme wie „The Matrix“ oder „Dark City“ oder „Existenz“ waren weltweit erfolgreich an der Kinokasse. Sie stellen die Frage, wie unsere Vorstellung von Realität aussieht und ob es möglicherweise Scheinwelten oder Parallelwelten gibt. Ein Thema, das der deutsche Regisseur Rainer Werner Fassbinder bereits 1973 verfilmte, nämlich in seinem Werk „Welt am Draht“, das auf einem Roman von Daniel Francis Galouye beruht. „Welt am Draht“ war ursprünglich eine zweiteilige TV-Produktion und lange Zeit nicht zu sehen. Die Rainer Werner Fassbinder Stiftung hat den Film unter der künstlerischen Leitung von Michael Ballhaus digital restaurieren lassen und diese auf der Berlinale (2010) neu uraufgeführt. Jetzt erscheint „Welt am Draht“ erstmals auf DVD. Ein Gespräch mit Juliane Lorenz, der Präsidentin der Fassbinder Stiftung, sowie mit der Hollywood Legende Michael Ballhaus, der damals bei den Dreharbeiten hinter der Kamera stand.
Inhalt:
Teil I: Im Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung können mit dem Computer Simulacron politische, gesellschaftliche und ökonomische Vorgänge der Zukunft derart exakt simuliert werden, als fänden sie bereits heute statt. Der Leiter dieses Forschungsprojekts Vollmer (Adrian Hoven) begeht eines Tages unter merkwürdigen Umständen Selbstmord. Nachfolger wird sein bisher engster Mitarbeiter Dr. Fred Stiller (Klaus Löwitsch). Er glaubt nicht an den Selbstmord Vollmers.
Teil 2: Stiller fängt an, allmählich zu begreifen. Auch die Welt, in der er scheinbar real lebt, ist nur das Simulationsmodell eines anderen Computers…

Juliane Lorenz war verantwortliche Cutterin bei vielen Fassbinder Filmen. Sie leitet seit 1992 die Rainer Werner Fassbinder Foundation und hat die Restaurierung vieler seiner Filme initiiert.
Frau Lorenz, „Welt am Draht“ wurde auf 16mm gedreht, und das ist bald 40 Jahre her. In welchem Zustand befand sich das Material vor der Restaurierung?
Juliane Lorenz: Rein vom Material her war der Zustand gar nicht so schlecht. Allerdings war er ziemlich ausgebleicht. Es war Umkehr-Orginalmaterial, d.h. es war ein positiver Film, wie bei einem Polaroid. Und das Problem ist, dass die Bilder eben ausbleichen.
War es damals üblich fürs Fernsehen noch in 16mm zu drehen?
Michael Ballhaus: Das war damals üblich, dass man auf 16mm drehte, denn 35mm wäre viel zu teuer für Fernsehproduktionen gewesen. Und die Qualität genügte durchaus, fürs Fernsehen war das ein gutes Material, und es sah auf dem Bildschirm auch gut aus.
Herr Ballhaus, Sie haben rund ein Dutzend Film mit Rainer Werner Fassbinder gedreht, darunter auch „Welt am Draht“ (1973). Hat er gemeinsam mit Ihnen den Look seiner Filme konzipiert oder Ihnen gar freie Hand bei der Gestaltung gegeben?
Michael Ballhaus: Nein, Fassbinder hatte immer sehr genaue Vorstellungen von den Bildern. Wir haben uns dann später bei der Arbeit angenähert. Das heißt, er fragte mich dann öfter: „Was hast du für eine Idee?“ Und dann war es meistens so, dass er die besseren Ideen hatte. Es war einfach so, dass er wirklich ein visueller Regisseur war, der sich sehr genau Gedanken machte über die Bilder, mit denen er die Geschichte erzählen wollte.
Es gibt in dem Film nur wenige Außenaufnahmen, vor allem im ersten Teil. Nun sind in einem Science-Fiction-Film Außenaufnahmen immer recht teuer, denn es muss ja eine künftige Welt designt werden. Drehte Fassbinder vorwiegend in den Innenräumen, um Geld zu sparen?
Michael Ballhaus: Ich glaube nicht, dass das mit den Kosten zusammen hing. Das ist ja durch das Drehbuch festgelegt, wo die Szenen spielen. Und natürlich gibt es verschiedene Szenen, da macht es keinen Sinn, draußen zu drehen. Also es ging nicht um die Ökonomie, sondern es ging darum, dass man das Drehbuch so umsetzt, wie es die Autoren geschrieben hatten, also er und Fritz Müller-Scherz.
Entsprach die Story seiner Sicht auf die Lage der Welt in der Zukunft – eine Welt, die kontrolliert wird durch eine diffuse Konzernmacht – oder war es einfach „nur“ eine Literaturverfilmung?
Michael Ballhaus: Rainer hat alles interessiert, was anders war, was ihn gefordert hat und was nichts mit der so genannten Realität zu tun hatte. Ich glaube, er brauchte nicht mal einen Science-Fiction-Roman dazu. Aber in diesem Fall war dieser Roman besonders animierend.
Man sieht oft in Fassbinders Filmen, dass die Kamera durch Fenster oder Türrahmen blickt, auf enge Räume, auf die Einengung des Menschen. Dennoch hatte ich den Eindruck, dass er diese Herangehensweise in „Welt am Draht“ auf die Spitze getrieben hat.
Michael Ballhaus: Nicht ganz. Auf die Spitze getrieben haben wir es eigentlich bei „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“. Denn da gibt es wirklich nur einen Raum. Hier aber haben wir sehr viele Räume; und die Räume sind nicht mal eng. Also ich glaube, die Klaustrophobie hat in diesem Fall keine Rolle gespielt. Es ging mehr um das Erschaffen dieser fremden Welt.
In „Welt am Draht“ gibt es diverse Filmzitate, was nicht typisch ist für Fassbinder. Ich habe Anlehnung an „Der dritte Mann“ gesehen, an „Die Lady von Schanghai“ oder auch „Raumschiff Orion“. Wurde darüber am Set geredet?
Michael Ballhaus: Nein, darüber geredet haben wir nicht. Aber manchmal erkannte man natürlich die Zitate. Und er hat natürlich unglaublich viele Filme gesehen. Also als wir uns kennen lernten, das war 1970, da hatte dieser Mann, der zehn Jahre jünger war als ich, bereits 2.000 Film gesehen. Der ist einfach als junger Mensch mit 16 Jahren jeden Tag ins Kino gegangen. Vor allem aber hatte er die Filme alle in seinem Kopf gespeichert. Irgendwann kommen dann diese Erinnerungen und werden auch umgesetzt. Aber das ist nicht so ungewöhnlich. Scorsese macht das auch.
War dieser Film ein Wendepunkt, was die Tonspur und Musik betrifft? Er ist ja voller Musik: Richard Wagner, Lili Marleen, griechische Volksmusik usw.
Michael Ballhaus: Das glaube ich tatsächlich auch. Es wurde ja dann immer raffinierter. Und ich muss sagen, die Tonebene bei „Die Ehe der Maria Braun“, das ist ja ein Meisterwerk, was da passiert ist. Das fing aber in der Intensität bei „Welt am Draht“ an. Für diesen Film ist das natürlich atmosphärisch unheimlich wichtig, was da auf der Tonebene passiert, weil auch sehr viel synchronisiert wurde. Und deswegen war diese Tonebene sehr ausgeprägt.
Juliane Lorenz: Die frühen Filme hat Rainer immer synchronisiert. Das wissen die Wenigsten. Das wurde mit Primärton gedreht. Er hat es mal so erklärt: Damals hat ihn noch interessiert, was danach entsteht, wenn die Schauspieler noch mal alles sprechen. Das hat sich ab „Ich will doch nur, dass ihr mich liebt“ geändert, dann noch mal bei „Chinesisch Roulette“. Später gibt es nur Originalton. Also ab „Maria Braun“ haben wir reinsten Originalton.
Wie hat Rainer Werner Fassbinder „Welt am Draht“ für sein Gesamtwerk eingeordnet? Im Bonusmaterial spricht er von Filmen, die er nicht so mag, die aber für seine Entwicklung wichtig waren.
Juliane Lorenz: Wir haben „Welt am Draht“ nie mehr sehen können, denn es gab nur eine Umkehr-Originalkopie. Und er hat den Film quasi vergessen. Aber die Frage ist grundsätzlich richtig: Der Film ist sehr wichtig für ihn gewesen. Und ich kann mich erinnern, wie er auf eine Frage zu „Katzelmacher“ reagiert hat. Da meinte er, „Katzelmacher“ würde er nicht lieben, weil das eine Zeit war, mit der er abgeschlossen hatte. Ich glaube, „Welt am Draht“ hätte er selbst wieder entdeckt für sich. Aber dazu ist er nicht mehr gekommen.
Herr Ballhaus, welche Bedeutung hat „Welt am Draht“ für Sie?
Michael Ballhaus: Die Bedeutung dieses Films ist mir eigentlich jetzt erst aufgefallen, als ich ihn wieder gesehen habe. Denn wir haben da Sachen gedreht, wo ich heute noch sage: „Donnerwetter, was wir damals mit unseren technischen Möglichkeiten gemacht haben, ist schon sehr faszinierend.“ Und ich frage mich manchmal, ob ich das heute anders gemacht hätte mit den technischen Möglichkeiten, die man heute hat. Ich glaube, trotz digitaler Möglichkeiten könnte der Film auch heute nicht besser aussehen. Das war schon richtig gut.
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