„Es geht den meisten darum, sich „richtig“ zu verhalten“
„Das Mädchen Wadjda“ ist der erste Spielfilm, der je in Saudi-Arabien gedreht wurde – ausgerechnet von einer Frau. Der Berliner Produzent des Films, Roman Paul, spricht im Interview über seine Filmerfahrungen und die geringe Solidarität unter Frauen.
Inhalt: Die 39jährige Filmemacherin Haifaa Al Mansour erzählt in „Das Mädchen Wadjda“ die Geschichte eines elfjährigen Mädchens, das versucht, gegen alle gesellschaftlichen Konventionen ihre Träume zu verwirklichen: Sie will ein Fahrrad besitzen und damit durch Riad fahren. Allerdings dürfen Frauen und Mädchen in Saudi-Arabien gar nicht Radfahren. Doch Wadjda lässt sich nicht abschrecken. Wenn es ihr gelänge, den Koran-Rezitationswettbewerb der Schule zu gewinnen, hätte sie zumindest das Geld für ein Fahrrad… Die Berliner Filmproduzenten Roman Paul und Gerhard Meixner gelten mit ihrer Produktionsfirma Razor Film als Experten für den Nahen und Mittleren Osten. Sie produzierten u.a. die vielfach preisgekrönten Werke „Paradise Now“ (Reg. Hany Abu-Assad) und „Waltz with Bashir“ (Reg. Ari Folman).

Spezialist für Filme aus und über den Nahen Osten: Der Produzent Roman Paul von Razor Film in Berlin.
Bernd Sobolla: Roman Paul, Sie sind bereits mit ihrem Partner Gerhard Meixner Spezialisten für Filme, die im Nahen Osten spielen. Hany Abu Assads Film „Paradise Now“, der u.a. auf der Berlinale lief, haben Sie ebenso produziert wie Ari Folmans „Waltz with Bashir“. Dennoch stellt sich die Frage, wie Sie auf den Stoff bzw. die Geschichte zu „Das Mädchen Wadjda“ und die Filmemacherin Haifaa al Mansour gestoßen sind?
Roman Paul: Haifaa ist eigentlich auf uns gestoßen. Sie schickte uns eine E-Mail, in der sie uns das Projekt anbot. Allerdings hat sie das bei fast jeder europäischen Filmproduktionsfirma getan. Aber nur wir waren interessiert.
War es einfach, die Türen in Saudi-Arabien zu öffnen, um dort den Film zu drehen? Ich stelle mir das so vor: „Äh, wir wollen einen Film über die Unterdrückung von Frauen und Mädchen drehen, am Beispiel eines Mädchens, das mit einem Fahrrad durch die Gegend fährt? Und die Regie übernimmt Haifaa al Mansour, die Frau, die die Gefahren der Orthodoxie öffentlich anspricht und sich dafür einsetzt, dass Kinos in Saudi-Arabien eröffnet werden?“ Und dann hat man Sie bejubelt?

Die Regisseurin Haifaa Al Mansour drehte den ersten saudi-arabischen Spielfilm. (photo: Razor Film Produktion Gmbh)
Ja, das war etwas anders. Der Film zeigt auch ein sehr viel komplexeres Bild vom Leben in Saudi-Arabien. Das war uns auch sehr wichtig zu zeigen, wie Menschen dort leben und was ihr Leben dort ausmacht. Und dass das auch nicht von morgens bis abends unter dem Aspekt der Unterdrückung empfunden wird. Das ist uns sehr wichtig. Und ich denke, das zeigt der Film auch. Als Haifaa mit dem Projekt auf uns zukam und das ursprünglich in den Emiraten drehen wollte, haben wir sie gefragt: „Kann man das auch in Saudi-Arabien drehen?“ Denn wir wussten, dass in Saudi-Arabien noch nie ein Spielfilm gedreht worden ist. Und Haifaa hat uns darauf hin gesagt: „Ja, das könnte schon möglich sein. Es gibt zumindest keine Regelung dazu.“ Wir sind dann gemeinsam mit Haifaa nach Saudi-Arabien gefahren, haben uns den Osten des Landes und Riad angeschaut und haben uns dort mit einem Fernsehproduzenten Amma Al Kathani getroffen. Denn Soaps werden schon manchmal gedreht. Und Amma war sehr zuversichtlich, dass er die nötigen Genehmigungen bekommen würde. Und so ist es dann auch geschehen. Es ist auch nicht so, dass in Saudi-Arabien soziale Themen, und darum geht es ja in dem Film vor allen Dingen, nicht diskutiert würden. Wir sehen solche Länder von außen oft als zu starr und zu wenig dynamisch an. Gerade Saudi-Arabien ist relativ dynamisch in seinem Inneren. Da man aber nicht einfach nach Saudi-Arabien fahren kann – es werden keinerlei Touristenvisa ausgestellt – bekommt man auch keinen Eindruck von dem, was dort los ist. Der Film soll dies ändern und einen Einblick in das Leben dort gewähren. Gleichzeitig ist der Film auch für ein saudisches Publikum gemacht. Er wird in Saudi-Arabien im Fernsehen ausgestrahlt werden. Es hat Vorführungen in Riad gegeben in der deutschen und der amerikanischen Botschaft. Dort konnten auch Saudis den Film sehen. Und die Zensurbehörde hat er auch dort passiert.
Waren Sie bei den Vorführungen mit dabei?
Bei den Vorführungen in Riad waren wir nicht. Aber bei den Dreharbeiten waren wir die ganze Zeit dabei. Wir waren mehrfach davor in Saudi-Arabien zur Vorbereitung der Dreharbeiten, um mit dem Land vertraut zu sein.
Was war Ihr erster Eindruck von Saudi-Arabien?
Bevor wir hingefahren sind, hatte ich eigentlich ein bisschen Angst vor dem Land. Ich habe mir das alles in sehr düsteren Farben ausgemalt. Als wir dann dort vor Ort waren, hat sich uns natürlich ein ganz anderes Bild gezeigt. Die Menschen waren sehr fröhlich und uns sehr freundlich und aufgeschlossen gegenüber. Das hat uns sehr überrascht. Auch in einem Land wie Saudi-Arabien gibt es natürlich das gesamte politische Spektrum. Das geht von links bis nach rechts. Also dort trifft man Menschen, die ganz unterschiedliche Ansichten haben.
Wadjda ist ein sehr intelligentes Mädchen, ist aber nicht so talentiert, wenn es ums Lesen geht, zumindest beim Lesen des Korans. In einer Szene aber erinnert sie an den Propheten: Da heißt es: „Diejenigen, die sich trotz ihrer Schwächen mühen, den Koran zu lesen, liebt Allah besonders“. Sind das Momente, die geholfen haben, dass sie den Film überhaupt in Riad drehen durften?
Unter welchem Aspekt die Haifaa die Suren ausgewählt hat, das kann ich ihnen jetzt nicht im Detail erläutern. Haifaa hat das Drehbuch geschrieben und hat natürlich auch, weil sie des Arabischen mächtig ist und die Kultur kennt, die Suren passend zum Film ausgewählt. Aber uns kam es nur darauf an, Menschen in ihren religiösen Gefühlen nicht zu verletzen und die Kultur und die Sitten und Gebräuche auch mit Respekt gegenüberzutreten.
In den Presseunterlagen steht, dass das Ganze in Riad spielt. Von der Stadt sehen wir relativ wenig: Nun bewegt sich ein 10, 11jähriges Mädchen noch nicht so viel in einer Stadt. Dennoch hat man den Eindruck, dass sich dieser „beschränkte“ Lebensraum nie erweitern wird. Ging es auch darum, diese Enge zu zeigen?
Ich empfinde das gar nicht so eng. Also der Film spielt in dem Viertel, wo Wadjda lebt mit ihrer Familie. Dann gibt es eine längere Szene, ein Ausflug in die Altstadt von Riad, wo sie mit Abdullah hinfährt, um den Fahrer aufzuspüren. Sie sind in der Mall anzutreffen, was eine sehr große Rolle spielt im Leben von Saudis. Also die Einkaufsmalls sind eigentlich das große Vergnügen der Saudis. Es gibt ja keine Kinos. Es gibt Restaurants für Familien, aber es gibt keine Kneipen oder so was. D.h. Malls sind auch eine Art sozialer Treffpunkt. Dann sehen wir auch ein Krankenhaus von innen. Also es sind sehr unterschiedliche Schauplätze in Riad.

Waad Mohammed spielt Wadjda in der deutsch-saudi-arabischen Koproduktion „Das Mädchen Wadjda“. (photo: Razor Film Produktion GmbH)
Wadjdas Fahrrad ist grün. Grün steht für Hoffnung, es ist aber auch die Farbe der saudischen Flagge. Wenn die Filmemacherin gewollt hätte, das Fahrrad als unerreichbar zu zeigen, hätte sie sich vielleicht für rot (Warnung!) entschieden. Oder war die Farbe einfach nur ein Zufall?
Das Fahrrad ist grün; es ist das Symbol für Träume, die man auch gegen gesellschaftliche Schwierigkeiten durchsetzen kann, ohne andere auch zu sehr zu verletzen. Das ist manchmal die Angst doch größer als das, was dann wirklich geschieht. Und so ist ja auch Wadjda gestimmt. Sie will ihren Traum verwirklichen, bekommt aber keine Unterstützung, sondern trifft auf eine Widrigkeit nach der anderen. Aber sie bleibt dran.
Handelt es sich bei der Schule um eine reine Koranschule?
Das ist eine allgemein bildende Schule für Mädchen. Und diese Klasse, die Wadjda besucht, das ist der Koranclub. Das ist so etwas wie vielleicht bei uns eine Theater-AG. Das kann man noch zusätzlich besuchen. Da gibt es auch einen besonderen Wettbewerb für Mädchen, die daran teilnehmen möchten. Das wird im Film ja gezeigt.
Mädchen werden zum Teil sehr früh verheiratet: Ein Mitschülerin (ca. 12 Jahre alt) zeigt Fotos von ihrer Hochzeit. Das Mädchen ist auch ein bisschen stolz. Mir schien sie jedenfalls so.
Ja, das ist sehr irritierend, aber den Eindruck hatte ich auch. Haifaa Al Mansur hat vorher auch einen Dokumentarfilm gemacht, der heißt „Women without shadows“. Dort hat sie nur Frauen in Saudi-Arabien interviewt. Und sie hat auch Frauen interviewt, die das gesamte politische Spektrum und das gesamte politische Meinungsbild im Land abbilden. Dort kommen sehr viele Frauen zu Wort, die extrem konservative und für uns sogar schockierende Ansichten haben. Also die Vorstellung, das hat Haifaa auch neulich bei einem Publikumsgespräch gesagt, dass Frauen dort nur unter dem Aspekt von Solidarität unter Frauen handeln würden, trifft in diesem Land gar nicht so zu. Es geht den meisten eher darum, sich so zu verhalten, dass es richtig ist. Und dieses Richtige wird gleichgesetzt mit dem Guten. D.h. das Meinungsbild und die Werte, die dort vor Ort teilweise greifen, sind unseren Vorstellungen extrem fremd. Wobei ich eine Verheiratung von einem 11-jährigen Mädchen auch schockierend finde. Das würde dort aber auch kritisch gesehen werden.
Mir ist die Vehemenz aufgefallen, mit der die Lehrerinnen versuchen, den Schülerinnen die Tradition einzubläuen. Ich hätte gehofft, dass die Mädchen in der Mädchenschule ein wenig mehr Freiheit genießen können als außerhalb. Warum sind auch die Frauen untereinander so rigide?
Es geht diesen Frauen nicht darum, Solidarität unter Frauen zu propagieren. Um dann eine größere vermeintliche Freiheit in der Gesellschaft zu erreichen. Sondern diesen Frauen ist es wichtig, dass die Tradition weitergelebt wird, dass die Regeln in diesen Mädchen ankommen und sie diese Regeln dann auch leben. Haifaa hat gesagt, dass sie diesen Film auch gemacht hat, für ihre Mitschülerinnen. Haifaa ist in einer kleinen Stadt groß geworden, kommt nicht aus privilegiertem Hause. Und in dieser Schule waren ihre Mitschülerinnen oft ganz verrückte Mädchen, die ausgefallene Ideen hatten und sehr extreme Persönlichkeiten und Wünsche und Träume dort hatten. Aber keine von ihnen hatte diesen Eigensinn wie Haifaa, um ihren Traum, Regisseurin von Filmen zu werden, durchzusetzen. Die anderen Mädchen hatten sicherlich andere Träume. Aber sie sind dann eingegangen in diese sehr traditionelle Gesellschaft, und konnten diese Träume womöglich nicht verwirklichen. Und die Geschichte von Wadjda ist nun mal auch die Geschichte eines Mädchens, das ihren Traum gegen Widerstände verwirklichen möchte.
Wadjdas Vater ist ein Sympathieträger, der seine Tochter sehr liebt, sich um sie kümmert, auch eine gute Beziehung zu seiner Frau hat. Was keine Selbstverständlichkeit ist. Dennoch nimmt er sich eine zweite Frau. „Jetzt haben wir nur noch uns“, sagt sie. Ist der Vater zugleich ein Vertreter seiner Generation. Oder ist die Mehrfach-Ehe nur noch eine Ausnahme in Saudi-Arabien?
Dazu gibt es sehr unterschiedliche Meinungen. Man könnte diese Zweit-Frau auch als eine Art Scheidung sehen und empfinden. Hier wird es als Zweitfrau erzählt. Die Figur des Vaters ist hochgradig zwiespältig. Also er liebt seine Frau und seine Tochter, aber er sagt seiner Frau trotzdem nicht die Wahrheit. Dass er gemeinsam mit einer Familie nach einer Zweitfrau sucht, die ihm dann einen Sohn gebären soll, was ja ein Thema zwischen den Eheleuten. Er kämpft nun nicht dafür, bei seiner Frau zu bleiben, entgegen den gesellschaftlichen Erwartungen. Von daher würde ich die Figur des Vaters schon als zwiespältig wahrnehmen. Gleichzeitig liebt seine Frau ihn aber, und er liebt auch sie. Aber ein Zwiespalt bleibt für mich schon übrig. Es war aber trotzdem auch wichtig, den Vater nicht als prügelndes Monster darzustellen. Da gibt es auch schon eine Tradition im Westen, dass man die Dinge gerne so extrem haben möchte. Die Wirklichkeit vor Ort, sieht dann doch sehr viel anders aus.