Pjotr Pawlenski – Der Mensch und die Macht

 „Ich will der Propaganda nicht als Stellschraube dienen“

Am 16. März startet „Pawlenski – Der Mensch und die Macht“ in den Kinos

 Schon lange ist der politische Künstler Pjotr Pawlenski mit seinen Aktionen dem Kreml ein Dorn im Auge: Im November 2013 setzte er sich nackt vor dem Lenin-Mausoleum auf den Roten Platz in Moskau und nagelte seine Genitalien fest. Die Aktion mit dem Titel „Fixierung“ steht für Apathie und politische Gleichgültigkeit in der russischen Gesellschaft. In einer anderen Aktion stellte sich Pawlenski mit zugenähtem Mund und einem Spruchband zur Unterstützung der Punkband „Pussy Riot“ auf die Straße. Und Ende 2015 steckte er die Tür des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB in Moskau in Brand, den er als Symbol der Unterdrückung sieht. Die Regisseurin Irene Langemann widmet Pawlenski den Dokumentarfilm „Pawlenski – Der Mensch und die Macht“, der jetzt in die Kinos kommt und den Langemann im Rahmen einer Kino-Tour in den nächsten Tagen begleiten wird. Ende Januar bat Pawlenski in Frankreich um politisches Asyl, da ihm in Moskau Lagerhaft angedroht worden war. (Ihm und seiner Lebenspartnerin werden sexuelle Übergriffe an einer Schauspielerin vorgeworfen, die das Paar bei sich aufgenommen hatte.)

2016 hat Pjotr Pawlenski drei Bücher veröffentlich: „Im Verlag Ciconia ist das Buch „Aktionen“ erschienen, im Merve Verlag „Der bürokratische Krampf und die neue politische Ökonomie der Kunst“ und bei Matthes & Seitz  „Fröhliche Wissenschaft: Gefängnis des Alltäglichen.
Pjotr Pawlenski vor brennender FSB-Tür

Pjotr Pawlenski vor der brennenden Tür des Inlandsgeheimdienstes FSB in Moskau. Foto: Lubjanka Pavlensky © PavlenskyLichtfilm

Bernd Sobolla: Pjotr Pawlenski, Sie kommen ursprünglich aus St. Petersburg, sind dann aber 2012 nach Moskau gezogen. War das aus künstlerischen Gründen?

Pjotr Pawlenski: Ich bin nicht von St. Petersburg nach Moskau gezogen, ich bin festgehalten worden und musste zwangsweise in Moskau bleiben. Ich möchte aber nirgendwo festgenagelt werden, weder in St. Petersburg noch in Moskau. Meines Erachtens ist es merkwürdig, wenn sich ein Künstler nur mit einer Stadt identifiziert. Denn das würde bedeuten, dass das Feld seiner Betätigung nur auf diesen Ort fokussiert ist. Ich spreche und zeige Sachen, die sich nicht allein auf St. Petersburg oder Moskau beschränken.

Studenten durchlaufen eine Gehirnwäsche

Sie haben ursprünglich Wandmalerei studiert. Wie und wann sind Sie zur Aktionskunst gekommen?

Das war 2012, als der Machtapparat öffentlich versucht hat, die Kunst zu instrumentalisieren. Das passiert natürlich ständig in Russland. Aber es wurde noch nie so offensichtlich: An den Kunsthochschulen habe ich erlebt, wie die Studenten Jahr für Jahr beeinflusst werden und eine Gehirnwäsche durchlaufen. Ich habe beobachtet, wie aus Künstlern Bedienungskünstler wurden. Und mit dem Prozess gegen Pussy Riot habe ich gesehen, wie das eine neue Qualität bekam. Weil ich mich als Künstler verstehe und als Künstler weiter leben wollte, musste ich etwas unternehmen. Es betraf mich, meine Leben und meine Kunst. Ich wollte nicht mit der Perspektive leben, der Propaganda als Stellschraube zu dienen.

Demo: Pjotgr Pawlenski gegen Pussy-Riot-Prozess

Demonstrierte mit zugenähtem Mund gegen den Pussy-Riot-Prozess – Pjotr Pawlenski. Foto: RTR35941 © Reuters

Wie haben die Menschen 2012 reagiert, als sie sich aus Protest gegen den Pussy Riot-Prozess in St. Petersburg mit zugenähtem Mund vor eine Kirche stellten?

Die Menschen, die sich zu dem Zeitpunkt da befanden, waren interessiert an der Aktion und wollten verstehen, was da eigentlich passiert. Niemand von ihnen zeigte sich aggressiv, niemand wollte mich angreifen. Das spricht dafür, dass die Menschen offen sind, das aufzunehmen, was ihnen angeboten wird und was man sagen möchte.

Repressives System, aus dem die Menschen kaum herauskommen

Bei der Aktion „Kadaver“ haben Sie sich vor einem Regierungsgebäude in St. Petersburg nackt in einen Stacheldraht wickeln lassen. Bezog sich diese Aktion auch auf die Beamten, die im System eingewickelt sind?

Nein. Ich spreche von Menschen, die sich wie in einem Stacheldraht des gesetzgebenden Systems befinden. Damit sind nicht die Beamten gemeint, die in dem System arbeiten. Ich wollte damals das repressive System zeigen, in dem die Menschen wie in einem Pferch befinden und nicht heraus kommen.

„Diesen Menschen ist es egal, ob ich berühmt bin“

Pawlenskis Aktion: „Kadaver“. Foto: © PavlenskyLichtfilm

Sie wurden im Gefängnis geschlagen und getreten. Es gab Leute, die sind in russischen Gefängnissen zu Tode gekommen. Nehmen Sie dieses Risiko in Kauf, oder glauben Sie inzwischen eine Bekanntheit zu haben, die Sie schützt?

Die Risiken, auf die ich mich einlasse, sind immer unvorhersehbar. Bei der Aktion „Abtrennung auf der Mauer“ hätte ich nach der Logik des Systems als Idiot erklärt werden müssen oder ich wäre ins Gefängnis gekommen. Weder das eine noch das andere ist passiert. Und es ist interessant, wenn man nicht vorhersehen kann, was passiert. Aber was die Bekanntheit betrifft: Es ist schwierig zu sagen, ob sie hilfreich ist oder eher stört. Im Rahmen des Prozesses vor dem Moskauer-Gericht wurde ich während des Transports geschlagen. Diesen Menschen ist es egal, ob ich berühmt bin oder unbekannt. Denn das System samt Strafvollzug ist so aufgebaut, dass niemand erfahren wird, wer mich geschlagen hat. Es ist teilweise auch so, dass sie Masken tragen, damit sie nicht erkannt werden. Außerdem bin ich durch meine Bekanntheit öfter von den anderen Häftlingen getrennt worden und kam deshalb in Isolierräume.

 

Die Macht in eine Sackgasse treiben
Kadaver: Pjotr Pawlenski

Die Polizeit befreit Pjotr Pawlenski in die gesellschaftliche Unterdrückung. Foto: © Reuters

Die Punkband Pussy Riot hat ihre Performance in der Erlöserkirche  mit der Kamera aufgenommen und ist dann weggerannt. Sie laufen nie weg. Aber die Beamten wissen nicht, was Sie mit Ihnen machen sollen. Als Sie auf der Mauer der Psychiatrie saßen, stritten sich die Beamten. Keiner wollte für Sie zuständig sein. Sind das Momente, wo Sie das Gefühl haben, eine gewisse Macht über das System zu haben?

Natürlich konnte ich in der Situation auf der Mauer die Macht in eine Sackgasse treiben. Das ist die eine Sache. Andererseits gibt es sehr unangenehme körperliche Gefühle wie Schmerz und Kälte. Es ist schwierig, Genugtuung zu empfinden, wenn der Körper vor Kälte zittert und du einen Krampf im Bein hast. Da kann man keine Genugtuung empfinden.

So radikal Ihre Aktionen sind, so nett  – fast zuvorkommend – sprechen Sie im Film mit den Polizisten oder FSB-Mitarbeitern, die Sie verhören? Man hat den Eindruck, dass diese Leute Sie eigentlich mögen, obgleich Sie das System, denen diese Leute dienen, hart angreifen. Diese Szenen sind im Film als Schattenspiel inszeniert. Trifft diese Nettigkeit zu oder war das nur die künstlerische Freiheit der Regisseurin?

Das ist sehr gut gemacht. Für die Regisseurin war es eine sehr schwierige Aufgabe, zumal ich verhafte wurde, als wir uns gerade erst zwei Monaten kannten, und sie musste auf der Basis von Wörtern und Sätzen, die wir gewechselt hatten, etwas ausdrücken. Und da hat sie diese Form gewählt. Ich hebe hervor, dass sie abstrakt ist. Wenn es reale Schauspieler mit realen Gesichtern wären, hätte ich immer denken müssen, wie ähnlich sieht er mir oder nicht? Aber so war es abstrakt. Das hat mir gefallen.

Pjotr Pawlenski nicht in Aktion. Foto: © Lichtfilm SWR

Aber die fast nette Atmosphäre. Entsprach das der Wirklichkeit?

In der Realität herrschte eine große Anspannung unter allen, die dabei waren. Es gab sehr lange Pausen. Und es war eine steife Atmosphäre. Es waren Gespräche zwischen Menschen, die einander die Hand nicht reichen.

„Ich will Präzedenzfälle schaffen“

Gab es Momente, wo Sie den Eindruck hatten, meine Aktionskunst bewirkt etwas? Etwas, das über den Zirkel von Künstlern hinausgeht?

Die Aktionen, die ich mache, richten sich nicht an eine elitäre Gruppe oder an Künstler. Sie richten sich an die Massen. Denn ich will das Denken in der Gesellschaft verändern und einen Präzedenzfall mit meinen Aktionen schaffen. Ich hoffe, dass dieser Präzedenzfall dann das Denken verändert und die Verhaltensnormen.

Pawlenskis Prozess wurde von immer mehr Medienvertretern begleitet. Foto: © Lichtfilm SWR

Kunst im Knast, von Zelle zu Zelle

Stimmt es, dass Ihre Anwesenheit im Gefängnis unter den Gefangenen Dialoge über Kunst initiiert hat?

Das hat mir zumindest mein Anwalt erzählt. Das war aber keine Diskussion, sondern ein Briefwechsel unter Zellennachbarn. Also meine zwei Zellennachbarn waren an einem Austausch über Kunst mit anderen Zellen beteiligt. Sie haben großes Interesse an politischer Kunst gezeigt. Und ich habe bei den Transportfahrten im Rahmen der Untersuchungshaft über Kunst gesprochen. Andererseits bin ich mir nicht sicher, ob sie  verstehen, was politische Kunst ausmacht.

Vor einigen Jahren gab es bei den Wahlen in Russland massive Manipulationen. Das braucht Putin heute nicht mehr. Eine klare Mehrheit unterstützt seine Politik. Ist das ein bisschen desillusionierend für Sie?

Ich glaube schon sehr lange nicht mehr an Wahlen. Sie sind ein Instrument der herrschenden Realität, ein Bespiel für die Dekoration des allgemeinen Wohlstands.

Welchen Stellenwert hat dieser Film für Sie?

Dieser Film hat für mich eine große Bedeutung, vor allem weil es der Regisseurin gelungen ist, das zu zeigen, was verdeckt ist. Sie hat eine künstlerische Methode gefunden, um zu zeigen, was im Gefängnis passiert und was in den russischen Gerichten passiert, wovon der normale Zuschauer nichts weiß.

Interview: Berlin, November 2016

Kinotour-Termine mit der Filmemacherin Irene Langemann: Köln (15.3.2017),  Filmforum im Museum Ludwig), Düsseldorf (16.3., Bambi), Frankfurt (17.3., Harmonie), Leipzig (18.3., Passage), Berlin (19.3., International), Potsdam (19.3., Thalia), Hamburg (20.3., Abaton), Stuttgart (22.3., Delphi), Essen (25.3., Filmstudio), Karlsruhe (26.3., Schauburg), Mannheim (26.3. Atlantis).