Kheiron – „Nur wir drei gemeinsam“

„Wir bereuen nichts!“

Anfang der 1970er Jahre wird der Iran von politischem Tumult bestimmt. In der Hauptstadt Teheran kämpfen Menschen zunächst gegen das Schah-Regime und werden nach dessen Sturz von den Schergen Ayatollah Khomeinis unterdrückt. Hibat, gespielt von Kheiron, kämpft gemeinsam mit seiner Frau Fereshteh (Leïla Bekhti) und Gleichgesinnten gegen die Obrigkeit. Doch als der Druck zu groß wird, bleibt ihnen nur noch die Flucht. Mit ihrem kleinen Sohn machen sie sich auf den Weg über die Türkei bis nach Frankreich, wo sie in den Ghettos der Pariser Vororte landen. Der französische Komiker und Schauspieler Kheiron ist in den Regiestuhl gestiegen und erzählt in „Nur wir drei gemeinsam“ die Geschichte seiner Eltern, die als politische Flüchtlinge den Iran verlassen, um in Frankreich ein neues Leben zu beginnen. Der Film startet am 30. Juni im Kino.

Nur wir drei gemeinsam - Kheiron

Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis wird Hibat (Kheiron) in seinem Heimatdorf gefeiert wie ein Held. Photo © NFP marketing & distribution* / Foto: Reza / Adama Pictures-Gaumont

Bernd Sobolla: Kheiron, Ihr Film hat viele autobiografische Züge. Es ist eine Familiengeschichte. Allerdings erzählen Sie nicht Ihre Geschichte, sondern die Ihres Vaters, der Jurist ist, und den Sie im Film spielen. Wie genau sind Sie mit seiner Biografie umgegangen?
Kheiron: Ich bin am 21. November 1982 in Teheran geboren. Im Alter von zehn Monaten sind meine Eltern mit mir aus dem Iran geflohen. Es ist also genau genommen die Geschichte meiner Eltern. Viele Zuschauer haben das Gefühl, es sei nur die Geschichte meines Vaters. Das liegt daran, dass seine Geschichte, bevor er meine Mutter kennen lernte, die interessantere war. Meine Mutter wuchs mit fünf Geschwistern auf, ihr Vater war Schuldirektor, und sie ist ganz oft in ihrem Leben umgezogen. Aber ansonsten hatte sie eine normale Kindheit. Da gab es nicht viel zu erzählen. Deswegen fand ich es wichtig, nicht damit anzufangen, wie sich meine Eltern kennen lernten, sondern mit der Vorgeschichte meines Vaters. web_kheiron_6

War Ihr Vater mit dem Genre der Tragikomödie einverstanden? Wenn er so wie Sie im Film das Gefängnis erlebte, kann ich mir vorstellen, dass ihm der Film etwas zu heiter erscheint?
Das ist eine sehr gute Frage. Denn mein Vater war wirklich sehr skeptisch. Er selber konnte zwar über seine Erlebnisse lachen, und wenn iranische Freunde zu Besuch waren, haben sie sich all diese Geschichten mit viel Humor erzählt. Aber mein Vater war dennoch unsicher, ob das für das Publikum funktionieren würde. Ob da nicht das Gefühl aufkäme: „Ach, so schlimm war es ja gar nicht!“ Aber er hat mir vertraut. Und mittlerweile hat mein Vater diesen Film viele, viele Male gesehen und ist sehr glücklich mit dem Resultat. Er glaubt, dass ich doch den richtigen Weg eingeschlagen habe.

Hat Ihr Vater am Drehbuch mit geschrieben?
Nein, nicht direkt am Drehbuch. Aber ich habe mit ihm stundenlange, ganz ausführliche Interviews geführt, in denen er mir sein Leben und seine Erinnerungen erzählt hat. Ich habe all diese Geschichten aufgenommen und dann sozusagen meine eigene Version daraus kreiert.

Im Film klebt Hibat mit seinen Freunden Plakate, auf denen das durchgestrichenen Konterfei des Schahs zu sehen ist, auf Straßenmauern. War das eher ein Gefühl jugendlicher Rebellion, ohne zu wissen, wie der Staat zurückschlagen würde? Oder gab es eine richtige Systematik im Rahmen des Widerstandes? 

Nur wir drei gemeinsam - Kheiron

Auf einer Demonstration in Paris gegen das Khomeini-Regime wird Hibat (Kheiron) festgenommen. Photo: © NFP marketing & distribution* / Foto: Reza / Adama Pictures-Gaumont

Nein, nein. Das war schon eine sehr organisierte Opposition. Und wie bei jeder Revolution war natürlich eine riesengroße Unzufriedenheit da. Diese bestand hauptsächlich darin, dass es keine Meinungsfreiheit und generell keine Freiheiten im Iran gab.

Jede politische Regierung braucht eine Opposition, braucht eine Art von Gegenmacht. Und die existierte nicht. Deswegen sind sie auf die Straße gegangen. Was die Plakatszene betrifft, möchte ich sagen, dass es Leute gab, die durch solche einfach Gesten ins Gefängnis gekommen sind. Mein Vater war da sehr viel politisierter, auch sehr viel aktiver im Widerstand und auch sehr viel bewusster. Dazu kann ich eine Anekdote erzählen: Am Tag der Urteilsverkündung waren Kameras in dem Gerichtssaal aufgestellt. Denn bevor die Gruppe meines Vaters, die gemeinsam verhaftet worden war, verurteilt wurde, gab es noch eine viel radikalere Widerstandsgruppe, die man ebenfalls verurteilt hat. Der Richter war zufällig ein Klassenkamerad meines Vaters. Er ging auf meinen Vater zu und sagte: „Pass auf, die, die ich zuerst verurteilen werde, das sind wirkliche Widerstandskämpfer. Die werden nichts bereuen. Aber sie werden sehr hart bestraft, die bekommen alle zehn Jahre Haft. Eure Gruppe war weniger radikal. Wenn ihr sagt, dass ihr bereut, was ihr getan habt, dann könnt ihr den Gerichtssaal als freie Männer verlassen.“ Damit wollten sie natürlich zeigen, dass der Schah auch gnädig sein kann. Und wenn man nichts gegen den Schah habe, könne der auch gnädig sein. Und das wollten sie mit Fernsehkameras aufzeichnen. Es kam dann, wie der Richter vermutete. Die erste Widerstandsgruppe blieb hart und sagte: „Wir bereuen nichts!“ Und jeder wurde zu zehn Jahren verurteilt. Dann kam die Gruppe meines Vaters rein, die sagte: „Wir bereuen auch nichts!“ Der Richter war somit gezwungen, dieser zweiten Widerstandsgruppe dieselbe Strafe zu geben, nämlich zehn Jahre.

Ihre Mutter wirkt im Film extrem selbstbewusst. Sie zeigt ungefähr das Gegenteil von dem, was man im Westen so über Frauen im Islam denkt. Ist die Stärke von Fereshteh eine Ausnahme oder eher exemplarisch für die intellektuelle Schicht im Iran?

Nur wir drei gemeinsam - Leila Bekhti

Fereshteh (Leïla Bekhti) fällt der Abschied aus dem Iran sehr schwer. Photo: © NFP marketing & distribution* / Foto: Reza / Adama Pictures-Gaumont

Meine Mutter ist da keine Ausnahme. Ich glaube, im Iran sind Mädchen auch stärker politisiert und interessiert. Also im Alter von acht oder neun Jahren lesen die alle Zeitungen. Die Oberflächlichkeit des Westens hat dort noch nicht gesiegt. Man muss wissen: 65 Prozent der Studenten im Iran sind weiblich, sind Studentinnen. Natürlich wird irgendwann Facebook auch in den Iran kommen. Die Oberflächlichkeit, die man dort erlebt, und auch das Unpolitische, werden auch in den Iran eindringen. Dann hat man auch irgendwelche blöden TV-Reality-Shows. Aber das ist noch nicht der Fall. Die Frauen im Iran sind stark im Widerstand, und sie waren es auch damals. Letztlich kämpfen in jeder Diktatur Frauen entscheidend gegen die Unterdrücker. Und dann gibt es einfach historische Gründe. Nach jedem Krieg, wo hauptsächlich Männer umgekommen, mussten die Frauen das Land aufbauen. Sie haben dadurch eine finanzielle Unabhängigkeit bekommen, mehr Macht und ein größeres Selbstbewusstsein. Im Iran gibt es diese starken Frauen. Meine Mutter ist eine von ihnen. Mein Lieblingssatz lautet: „Ich kenne nur starke Frauen, ich kenne keine schwachen Frauen! Und eine schwache Frau ist eine Frau, die nicht weiß, dass sie stark ist.“

Bezieht sich das nur auf die intellektuelle Schicht?
Natürlich gibt es auch im Iran dumme und unpolitische Frauen. Aber meine Mutter war sehr stark politisiert. Meine Tanten wiederum führen ein eher banales Leben. Aber meine Mutter war immer die Engagierte. Sie hat mit einer Kalaschnikow Busse entführt. Sie war Kriegskrankenschwester. Sie ist im Krieg an die Front gegangen und hat dort Verwundete versorgt. Meine Mutter ist eine sehr starke, politisch denkende Frau.

Nur wir drei gemeinsam

Auf dem Weg zur türkischen Grenze muss die Familie iranische Checkpoints passieren. Photo: © NFP marketing & distribution* / Foto: Reza / Adama Pictures-Gaumont

Was war für Ihre Eltern die größte kulturelle Umstellung in Frankreich?
Das Erlernen der französischen Sprache. Das hat ewig gedauert, weil Französisch eine sehr komplizierte Sprache ist. Allein die Sache mit den accents, also den accent aigu, den accent graph und accent circonflex. Meine Mutter hat das ein bisschen vereinfacht und hat einfach einen horizontalen accent eingeführt und macht den auf alle Buchstaben, die einen accent bekommen müssen. Mittlerweile sprechen meine Eltern sehr gut Französisch.

Was war für Sie die wichtigste Erfahrung im Rahmen der Filmproduktion?
Das Schönste für mich waren die Reaktionen in den Sozialen Netzwerken. Eine Frau zum Beispiel hat mir erzählt, sie sei Psychiaterin, und sie sei mit einem Mann, der nie wirklich mit ihr geredet habe, in den Film gegangen. Der hätte angefangen zu weinen, danach angefangen mit ihr zu reden und habe gesagt: „Ich bin syrischer Flüchtling. Das ist auch meine Geschichte!“ Ich habe viele ähnliche Rückmeldungen bekommen, und darauf bin ich sehr stolz.