Bille August – Silent Heart: Mein Leben gehört mir

Bille Augusts neuer Kinofilm thematisiert, wie eine Familie mit dem Freitod der Mutter umgeht

Die etwa 70-jährige Esther (Ghita Nørby) ist bedingt durch eine Krankheit dem Tode geweiht. Sie weiß, dass ihre Zeit abgelaufen ist; und sie möchte ihren Tod jetzt selbst bestimmen. Deswegen laden sie und ihr Mann Poul (Morten Grunwald) Kinder und Enkel zu einem letzten gemeinsamen Wochenende ein: Esthers beste Freundin Lisbeth (Vigga Bro) reist an, Tochter Heidi (Paprika Steen) und ihr Mann Michael (Jens Albinus) sowie Sohn Jonathan (Oskar Sælan Halskov) – und Esthers andere, jüngere Tochter Sanne (Danica Curcic) ebenfalls, die ihren Freund Dennis (Pilou Asbæk) mitbringt. Nach anfänglichem Streit sieht es danach aus, als ob das Zusammentreffen gut ginge. Denn alle reißen sich zusammen. Aber können die Schwestern Heidi und Sanne wirklich akzeptieren, dass ihre Mutter sterben möchte, bevor die Krankheit zu qualvoll wird? Am 24. März startet „Silent Heart – Mein Leben gehört mir“ im Kino.

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Die Familie trifft sich zum letzten gemeinsamen Wochenende. photo: movienet / SF Film Production Ap S


Bernd Sobolla: Bille August, als ich den Film gesehen hatte, dachte ich zuerst, Sie wollten Ihre Vorstellung davon vermitteln, wie es ist, sein eigenes Leben zu beenden. Aber dann sah ich, dass Sie zwar der Regisseur, aber nicht der Drehbuchautor waren. In wie weit ist „Silent heart“ Ihr eigener Film?

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Der Regisseur Bille August. Nach „Das Geisterhaus“ (1993), „Goodbye Bafana“ (2007) oder „Nachtzug nach Lissabon“ (2013) ist „Silent heart – Mein Leben gehört mir“ sein aktueller Film. photo: movienet / SF Film Production Ap S

Bille August: Als ich das Drehbuch las, fühlte ich, dass mir die Geschichte sehr nahe ging. Natürlich hatte ich einige Änderungswünsche, das ist ganz normal. Aber die Story war sehr gut geschrieben und sie vermittelt ein sehr wichtiges Thema. Für mich als Regisseur ist es nicht wichtig, ob ich das Drehbuch geschrieben habe, ob es sich um eine Adaption handelt oder jemand anderer die Story entwickelt  hat. Wenn mir etwas wichtig erscheint, dann fühlte ich, dass die Story zu „meiner“ Geschichte wird. Wenn ich dieses Gefühl nicht habe, dann lass ich die Finger davon.

Hätten Sie den Film vor 20 Jahren drehen können?

Das glaube ich nicht. Alle Filme, die ich gemacht habe, stehen für einen Teil meines Lebens. Sogar wenn die Filme auf Literaturvorlagen beruhten. Wenn ich mich für eine Geschichte entscheide, dann hat es immer damit zu tun, wo ich gerade im Leben stehe.

Haben Sie aufgrund Ihrer eigenen Lebenserfahrungen etwas am Drehbuch geändert?

Ich hatte einige Gedanken zu Esther, also der Mutter, die stirbt. Das hat auch damit zu tun, dass der Drehbuchautor noch ziemlich jung ist. Ich hatte den Eindruck, dass wir tiefer in ihre Psyche gehen sollten, um ihren Charakter verständlich zu machen. Das habe ich eingebracht. Aber wissen Sie, die Arbeit an einem Film ist ein langer Prozess. Ich kann mich heute nicht einmal mehr an die erste Drehbuchfassung erinnern. Und dann gibt es den Moment, wo die Schauspieler einsteigen. Es ist interessant zu sehen, wie sie zu Botschaftern ihrer Charaktere werden. Sie sehen den Charakter ihrer jeweiligen Figur aus ihrer persönlichen Perspektive und haben oft sehr gute Einfälle und Vorschläge. Auf diese Weise an einem Drehbuch zu arbeiten, ist ein sehr organischer Prozess.

Wie haben Sie die Schauspieler auf ihre Rollen vorbereitet? Ich nehme an, keiner von ihnen hat eine ähnliche Lebenssituation erlebt?

Das stimmt. Sie mussten versuchen, sich in die Lage zu versetzen, was ihre jeweilige Figur empfindet. Da war ich als Regisseur gefragt. Außerdem habe ich ihnen in den jeweiligen Szenen geholfen. Das bedurfter vieler Vorbereitungen. Wir haben viel miteinander gelesen und diskutiert. Da ging es um die Geschichte, um die Dialoge, um jede einzelne Zeile. Als die Schauspieler dann zum Drehort kamen, wusste jeder exakt, was er/sie tun sollte. Und unter diesen Voraussetzungen kann man dann auch noch improvisieren.

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Sanne (Danica Curcic, lks.) und Heidi (Paprika Steen) sind sich noch nicht einig, wie sie auf den Todeswunsch ihrer Mutter reagieren sollen. photo: movienet / SF Film Production Ap S

Am Anfang hat man den Eindruck, dass eine Tochter, Sanne, am meisten unter der Situation leidet. Währen Heidi, die andere Tochter, in der Lage ist, den Todeswunsch der Mutter zu akzeptieren. Später verändert sich die Lage. Ging es Ihnen darum, zu zeigen, dass sich unter bestimmten Umständen Bewusstseinsprozesse entwickeln?

Ich denke, das ist normal: Sanne z.B. ist sehr verletzlich und schwach am Anfang des Films. Aber sie hat wenigstens einen Zugang zu ihrem emotionalen Leben. Und als sie dann damit konfrontiert wird, dass ihre Mutter ihr Leben willentlich beendet, ist sie diejenige, die das akzeptieren kann. Ihre Schwester hingegen, die sehr stark erscheint, führt ein relativ oberflächliches Leben. Für sie verändert sich plötzlich viel, als sie mit dem Tod konfrontiert wird. Vom Gesichtspunkt des Dramas her gefällt es mir sehr, dass die beiden Töchter zu gegensätzlichen Charakteren werden.

„Silent heart” ist ein guter Titel. Aber der Film hätte auch „Big chance“ heißen können. Denn alle Familienmitglieder haben die Möglichkeit, ihre Beziehungen untereinander neu zu definieren. War das das Ergebnis Ihrer Recherchen?

Da haben Sie recht. Ich denke, im Leben schlagen wir bestimmte Richtungen ein und entscheiden uns für bestimmte Straßen oder Abzweige. Und nur wenn wir extreme Situationen erleben, erinnern wir uns, woher wir eigentlich kommen, und hinterfragen uns, wer wir wirklich sind und worum es uns in unserem Leben geht. Die beiden Töchter sind damit konfrontiert, dass ihre Mutter beschlossen hat, am Ende des Wochenendes zu sterben. Es gibt eine Art count-down. Dann brechen alle Barrieren, und sie sind ganz verletzliche, nackte menschliche Wesen. Und das ist ihre Chance. Ich mag Geschichten, die die Menschen an einen Nullpunkt bringen. Denn dann siehst du sie in ihrem elementarsten Wesen.

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Der erste Abend endet harmonisch. Esther (Ghita Nørby, 2. v. rts) im Kreise ihrer Lieben. photo: movienet / SF Film Production Ap S

Was würden Sie machen, wenn sie wüssten, dass Sie nur noch ein Jahr zu leben hätten?

Ich würde aufhören, Filme zu drehen und mich noch mehr auf meine Familie konzentrieren. Ich habe acht Kinder und liebe sie sehr. Sie sind das Wichtigste in meinen Leben. In meinen Leben versuche ich immer mein Familienleben mit dem Filmleben zu vereinen. Das Filmleben ist leider sehr zeitaufwendig. Seltsamerweise wissen wir alle, dass wir sterben werden, aber irgendwie scheint es da im Menschen eine Systemvorsorge zu geben, dass wir nicht wissen, wann das sein wird.

Was war Ihre wichtigste Erfahrung im Rahmen dieser Filmproduktion?

Da gab es zwei Dinge: Zum einen war es großartig mit sieben brillanten Schauspielern fünf Wochen in einem Raum zu sein und so konzentriert miteinander zu arbeiten. Das war fantastisch. Das andere war das Filmthema: Wir überlegten ständig, was uns wichtig ist, womit wir unser Leben verbringen. Ich fragte mich z.B. ob ich genügend Mitgefühl den Menschen gegenüber zeige, die mir wichtig sind.

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