Connie Walther & Barbara Teufel – „Pro Quote Regie“

„Der ganze Saal hat gebrüllt vor Lachen“

 

Unter dem Motto „Berlin – Stadt der Frauen“ läuft im Ephraim Palais (Stiftung Stadtmuseum Berlin) eine empfehlenswerte Sonderausstellung (17. März bis 28. August), die sich außergewöhnlichen Frauen in der Geschichte Berlins widmet. Die Museumsmacher haben aus diesem Anlass auch zu einer Diskussion in die Nikolaikirche geladen („Männer machen Filme, Frauen schauen zu?“), um über die Situation von Frauen in der Filmbranche zu diskutieren. Neben der RBB-Intendantin Dagmar Reim, dem Moderator Knut Elstermann und der Geschäftsführerin der Filmförderung des Medienboards Berlin-Brandenburg, Kirsten Niehuus, waren die Regisseurinnen Connie Walther und Barbara Teufel dabei.

 

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Connie Walther (rechts) hat Filme gemacht wie „Wie Feuer und Flamme“, „12, heißt: Ich liebe Dich“ oder „Frau Böhm sagt Nein“. Barbara Teufel hat den Dokumentarfilm „Stroh zu Gold“ und den Spielfilm „Die Ritterinnen“ gedreht. Beide sind Mitglieder des Vereins „Pro Quote Regie – Zusammenschluss von Regisseurinnen in Deutschland“.

Bernd Sobolla: Warum haben Sie Ihren Verein „Pro Quote-Regie“ 2014 gegründet? Das Ungleichgewicht zwischen Regisseurinnen und Regisseuren bei der Vergabe von Filmförderung und -produktionen ist doch schon seit Jahren bzw. seit Jahrzehnten bekannt?

 Connie Walther: Es gab eine Initialzündung, das war 2012, das waren die Zargen in blackbox-filminfo.de, dem Branchenmagazin von Ellen Wietstock. Da stand, dass von 47 geförderten Filmen kein einziger unter der Regie einer Frau gemacht wurde. (Anmerkung: Nach einer Studie des Bundesverbandes Regie (2010–2013) liegt der prozentuale Anteil von Regisseurinnen bei fiktionalen Hauptsendeplätzen im deutschen Fernsehen bei lediglich 11 %,  bei Kinospielfilmen bei 22 % – sofern es sich um kostengünstige Produktionen handelt. Kinospielfilme mit hohem Budget haben einen ähnlich geringen Regisseurinnen-Anteil wie die TV-Primetime.) Das hat Katinka Kulens-Feistl, eine Regisseurin in Frankfurt, gelesen, sich darüber aufgeregt, das Telefon in die Hand genommen und ihre Kollegin Annette Ernst angerufen. Dann gab es eine Telefonkette, an der u.a. Imogen Kimmel in München und Tatjana Turanskyj in Berlin beteiligt waren. Und alle waren sich einig: „Hier stimmt was nicht! Wir müssen was tun!“ Grundsätzlich gibt es bei uns in der Branche das Problem, dass die meisten von uns alleine für sich arbeiten. Wir sind ja eigentlich alle Konkurrentinnen. Ein Bewusstsein, das es vielleicht in der Wirtschaft gibt, wo Hierarchien klarer erkennbar sind, weil man sich in geschlossenen Systemen bewegt, das ist im Filmbereich wenig ausgeprägt. Denn bei uns ist immer alles projektgebunden. Das heißt, wir hatten bisher das Bewusstsein dafür nicht, obgleich wir es historisch gesehen schon längst hätten haben können.

 Barbara Teufel: Außerdem gab es eine ganz wichtige Veranstaltung – das war der Zeitpunkt, als ich davon gehört habe – auf der Berlinale 2014. Es war eine Veranstaltung, die das Frauenfilmfest organisierte. Da wurde erstmals das schwedische Modell vorgestellt. Bei dem sieht man, dass es die Schweden innerhalb von nicht einmal zehn Jahren geschafft haben, den Frauenanteil, der auch ungefähr so wie in Deutschland war, auf 50 Prozent zu steigern: 50 Prozent Regisseurinnen gibt es da, die sehr erfolgreich arbeiten. In Schweden gab es den politischen Willen, entsprechende Maßnahmen umzusetzen. Das hat uns allen das Gefühl gegeben: „Es ist nicht ein individuelles Problem, wenn man da nicht weiter kommt, sondern ein strukturelles. Und wir können es angehen!“ Das war auch die Initialzündung für die Gründung des Vereins „Pro Quote-Regie“.

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Es geht Connie Walther nicht um eine ideologische Feminismus-Debatte.

Connie Walther: 1977 gab es übrigens den Verband der Filmarbeiterinnen. Die  haben Ähnliches schon vor rund 40 Jahren probiert. Aber damals war die Zeit noch nicht reif. Wir sind heute in einer Zeit, in der es viele Gleichstellungsbeauftragte in Unternehmen, Sendern usw. gibt. Das war längst überfällig. So ist auch unser Erfolg zu erklären. Eigentlich haben alle gemerkt: „Da stimmt etwas grundsätzlich nicht!“

Ich hatte den Eindruck, dass viele in der Branche mit einem großen Stöhnen auf die Gründung von „Pro Quote Regie“ reagiert haben. Täusche ich mich da?

Connie Walther: Der Eindruck stimmt natürlich. Und da sehen sie es. Wir waren 2014 an einem Punkt, wo dieses Argument erst einmal wie ein alter Reflex hoch kam: „Oh, mein Ischias-Nerv!… Dann kommt wieder der Feminismus hoch!“ Dann haben aber (fast) alle gemerkt, dass das so nicht stimmt. Wir sind heute woanders. Der Erfolg unserer Initiative hat damit zu tun, dass im Bewusstsein der Menschen längst angekommen ist, dass es einen Systemfehler gibt. Denn die „Töchter“ werden ja alle ausgebildet. Es gibt unglaublich viele, hoch qualifizierte Frauen in der Filmbranche, aber auch in anderen Bereichen. Aber in der Wirtschaft oder in der Medizin gibt es eine Quote. Auch im Journalismus gibt es eine Quote. Das heißt, man hat verstanden, dass der alte Feminismus-Vorwurf nicht mehr greift. Der war auch ideologisch geprägt.

Wie stehen deutsche Filmemacherinnen im internationalen Vergleich da? Barbara Teufel, Sie haben in Frankreich studiert und gearbeitet. Sind uns die Franzosen auch voraus?

Barbara Teufel: Leider nicht. Mit Ausnahme von Schweden ist es überall so wie bei uns. Auch in den USA sind die Zahlen nahezu identisch. Das heißt, im Kinobereich sind knapp 20 Prozent der Film von Frauen, im Fernsehen 10 bis 11 Prozent. Das ist internationaler Standard.

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Die Ausstellung „Stadt der Frauen“ läuft noch bis zum 28. August im Ephraim-Palais. (Plakat: Stiftung Stadtmuseum Berlin)

„Pro Quote-Regie“ wurde 2014 gegründet, das ist noch nicht so lange her. Erkennen Sie dennoch eine Wahrnehmungsveränderung in den Gremien, also bei Sendern, Produzenten, Filmförderern?

Connie Walther: Sie haben es vielleicht gehört, dass es die Degeto freiwillig in die Hand genommen. Frau Strobel war die erste, die gesagt hat: „Wir führen eine Mindestquote von 20 Prozent ein!“ Dann haben sich die Vertreter der ARD-Anstalten zusammengesetzt und gesagt: „Wir müssen was machen!“ 2014 auf der Berlinale war es Dieter Kosslick, der in der Presseerklärung vor dem Festival die Quote unterstützte. Und damit war das Thema in aller Munde. Es funktioniert in der Filmbranche wie überall in der Welt: „Wenn die richtigen Leute dafür sind, sind plötzlich alle dafür.“

Barbara Teufel: Was sich auf jeden Fall verändert hat, ist, dass nicht mehr wir zählen müssen, also eine Art Monitoring übernehmen, sondern dass das die Anstalten inzwischen selber übernehmen. Dass sie gucken: „Wie sehen unsere Zahlen aus?“

Connie Walther: Eine Sache finde ich noch ganz wichtig, das ist ein großer Erfolg: Der Gleichstellungsparagraph im Filmfördergesetz. Den können wir uns ans Revers heften: Wir haben ihn ins Rollen gebracht.

Die RBB-Intendantin beklagt, an die Frauen gerichtet, dass viele von ihnen bei einer möglichen Auftragsvergabe viel zurückhaltender sind als Männer. Wenn Sie einen Mann mit einem Filmprojekt beauftragen will und ihn fragt, ob er sich das zutrauen würde, antworten fast alle: „Klar, das mache ich gerne!“ Während Frauen oft defensiv reagieren: „Wie kommen Sie denn ausgerechnet auf mich?“ Diskutieren Sie in Ihrem Verein diese irritierende Zurückhaltung?

Connie Walther: Ja, natürlich. Sonst würden wie ja in dieser Opferrolle bleiben, wenn wir nur sagten: „Oh, Gott, die Verhältnisse sind schlecht“ Natürlich muss man das Problem auch auf sich selbst beziehen und fragen: „Liegt es auch an uns?“  Diese Vorwürfe müssen wir ernst nehmen. Da tauchen dann viele weitere Fragen auf:  „Liegt das an unserer Sozialisation? An unserer Erziehung? Gibt es wirklich eine größere weibliche Unsicherheit? Oder gibt es ein größeres weibliches Misstrauen gegenüber bestehenden Verhältnissen, dass man diesen Markt vielleicht gar nicht bedienen will, weil man einen Anspruch hat, der bei bestimmten Filmprojekten nicht erfüllt wird?“ Vielleicht sind viele von uns auch einfacher kritischer als männliche Kollegen.

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Barbara Teufel freut sich, dass Maren Ade im Wettbewerb von Cannes reüssiert. Der Gedanke an das Lachen während der Berlinale-Veranstaltung zaubert ihr ein Lächeln ins Gesicht.

Maren Ade hat es geschafft, in den Wettbewerb nach Cannes zu kommen. Welchen Stellenwert hat das für die Filmemacherinnen in Deutschland?

Barbara Teufel: Das ist ja eine völlig verrückte Situation. Denn bei unserem Panel während der Berlinale hat Jutta Brückner eine ganz tolle Eröffnungsrede gehalten. In dieser führte sie uns alle auf eine Zeitreise: Wie ist die bürgerliche Gesellschaft entstanden? Wie kommt es zu diesen Strukturen unter den Geschlechtern, unter denen wir bis heute leiden? Und sie endete: „Wir beamen uns in das Jahr 2020, eine deutsche Regisseurin ist im Wettbewerb von Cannes.“ Der ganze Saal hat gebrüllt vor Lachen, so unvorstellbar war das. Und jetzt sind wir in dieser Zukunft angelangt. Das ist der Hammer! Und wir sagen: „Es hat auch mit uns zu tun.“

Connie Walther: Dabei darf man nicht vergessen, dass es vor zwei Jahren in Cannes einen Aufstand gegeben hat  („Le Deuxième Regard“). Das hat sich im letzten Jahr wiederholt. Das heißt, wir sind nicht mehr zu übersehen. Und wir hoffen, dass sich Thierry Frémaux, der Leiter von Cannes, mit seinem Gremium Filme mit einem gesteigerten Bewusstsein dafür anschaut. Und wenn dann die richtige Frau mit dem richtigen Film kommt, in dem Fall war es Maren Ade mit „Toni Erdmann“, dann muss sich wohl auch ein Thierry Frémaux einen Ruck gegeben haben: „Okay, machen wir das!“