Das Kino, ein Transitraum für deutsch-israelische Beziehungen
In den vergangenen Jahren hat das israelische Kino weltweit auf Festivals Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Viele der oft ausgezeichneten Filme sind Koproduktionen, und es ist keine Seltenheit, dass auch deutsche Filmförderungen israelische Regisseure bei ihren Projekten unterstützen – nicht zuletzt dann, wenn, wie in Eran Riklis Film Playoff (2011) zum Beispiel, Episoden der deutsch-israelischen Geschichte Thema der Filme sind. Deutsch-israelische Filmbeziehungen haben bereits eine lange Tradition, die sogar bis in die Zeit vor der Staatsgründung zurückreicht. Der Medienwissenschaftler Tobias Ebbrecht-Hartmann hat sich diesen Beziehungen in seinem Buch „Übergänge – Passagen durch eine deutsch-israelische Filmgeschichte“ gewidmet.
Bernd Sobolla: Tobias Ebbrecht-Hartmann, Sie haben Film- und Medienwissenschaft studiert. Woher kommt Ihr Interesse für das Israelische Kino? Gab es eine Initialzündung?
Tobias Ebbrecht-Hartmann: Es eher eine Bewegung, die sich über die Zeit entwickelt hat. Es gab mehrere Wege, die mich da hingeführt haben. Zum einen fand ich das Land und die Menschen interessant. Ich bin öfter hingereist, habe dort Leute kennen gelernt und dann auch gemerkt, dass es eine spannende Film- und Kinokultur in Israel gibt. Andererseits merkte ich, dass es auch israelische Regisseure meiner Generation gibt, die sich für Deutschland interessieren. Da spielt natürlich das spezielle deutsch-israelische Verhältnis eine Rolle.

Buchautor, Medienwissenschaftler und Experte für israelisch-deutsche Filmbeziehungen: Dr. Tobias Ebbrecht-Hartmann
Wie sieht das Interesse der Israelis an ihrer eigenen frühen Filmgeschichte aus?
In Israel ist die Auseinandersetzung mit Film vor allem eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Kino. In den letzten Jahren gab es eine sehr intensive und kritische Auseinandersetzung mit der frühen israelischen Filmgeschichte, im Kontext von mehreren auch kritischen akademischen Bewegungen, die zionistische Geschichtsschreibung noch mal neu zu betrachten. Als von außen Kommender war ich nicht wirklich überzeugt von der Art, wie die israelischen Kollegen sich mit der frühen Filmgeschichte auseinandergesetzt haben. Ich fand, dass man teilweise viel zu stark die ideologischen Probleme und auch die berechtigte Kritik am frühen Zionismus als Raster genommen hat, um diese Filme zu beurteilen. Ich habe die Filme, besonders die frühen Filme, gesehen und dachte: „Whow, was für unterschiedliche Einflüsse: Da ist sowjetisches Kino drin, da ist deutsches Kino drin, da ist amerikanische Genrekino drin. Ich war über den Hybrid-Charakter erstaunt und darüber, dass die Filmemacher schon so früh avantgardistische Filme produzierten. Das Buch ist der Versuch, diese transnationalen und transkulturellen Bezüge aufzudecken und das Israelische Kino auch ein bisschen aus seinem nationalen Korsett zu befreien.
Ich war erstaunt über eine ausgeprägte deutsch-israelische bzw. deutsch-jüdische Kinotradition: Der Filmpionier Oskar Messter Filmpionier gehört dazu. Er war nicht nur ein großer Kinotechniker, sondern begleitete auch Kaiser Wilhelm nach Palästina.
Mit Oskar Messter beginnt eigentlich die deutsch-israelische Filmgeschichte, weil er auch so wichtig ist für die deutsche Kinogeschichte. Und weil sein Fall zeigt, dass der Bezug zu Israel und vor allem zu Jerusalem lange bis vor die Staatsgründung Israels zurückreicht. Im Endeffekt war es ein interessanter Zufall. Als ich Israel einmal besuchte, stellte ich fest, dass gerade eine große Ausstellung zum Deutschen Kaiser in Jerusalem lief. Und alle waren fasziniert. Meine israelischen Freunde gingen da hin und sagten: „Warst du schon in der Ausstellung? Ihr Deutschen, habt ja dieses und jenes hier gebaut!“ Für mich war das alles neu. Und dann stieß ich zufällig darauf, dass Messter damals sozusagen im Tross des Kaisers mitgereist war. Leider sind die Filme darüber verschollen. Insofern konnte ich nur mit seinen Erinnerungen arbeiten und mit wenigen Fotos, die erhalten blieben. Aber es war mir wichtig zu zeigen, dass es immer zwei Wege gibt: Es gibt natürlich eine deutsch-jüdische Geschichte. Aber es gibt auch eine nicht-jüdisch-deutsche Geschichte mit Israel und dem vorstaatlichen Palästina. Diese zwei Richtungen: die eine, aus der Messter kommt und die andere, die eben von deutschsprachigen Juden oder deutschen Juden oder in Deutschland arbeitenden Juden, die aus ganz unterschiedlichen Gründen und je nach Zeitkontext nach Palästina reisten, um Filme zu machen. Manche weil sie Zionisten waren, manche weil sie keinen anderen Ausweg hatten, manche weil sie einfach eine guten Job bekamen, um sich vielleicht zwischen zwei anderen Filmen über Wasser zu halten.
Zu den deutschen Filmpionieren nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten Thomas Harlan und Klaus Kinski. Sie schlichen sich 1952 mit falschen Papieren nach Israel, um einen Film zu drehen, der den Titel tragen sollte: „Ich will zu den Juden – von Theresienstadt nach Tel Aviv“. Doch der Film fiel ins Wasser, trotz dreimonatiger Projektarbeiten. Das klingt ziemlich merkwürdig.
Es ist schwierig, über dieses Projekt etwas Konkretes zu sagen, weil es von Anfang an so mythenüberladen war und es zudem diese seltsamen persönlichen Kontext hatte: Da ist Thomas Harlan, der eine heftige Auseinandersetzung mit seinem Vater Veit Harlan (Regisseur von „Jud Süß“) führte. Und Klaus Kinski wiederum hatte den Krieg aktiv erlebt. Die beiden gehörten zur Generation, der noch im Nationalsozialismus geborenen Generation. Die natürlich hin- und hergerissen war zwischen Schuldgefühlen und Begeisterung für das, was in Israel passierte. Die Datenlage zu ihrem Filmprojekt ist noch immer etwa dünn. Zurzeit wird gerade das Thomas Harlan Archiv aufgearbeitet. Ich musste auf Zeitungsartikel und Thomas Harlans eigene Erinnerungen zurückgreifen. Über das Projekt selber ist dort sehr wenig zu erfahren. Auch ob überhaupt jemals etwas gedreht wurde. Wenn man sich spätere Filme von Thomas Harlan anguckt, dann hätte man damit rechnen können, dass es etwas Subjektiv-essayistisches wird. Aber das bleibt Spekulation. Für mich war die Tatsache, wie Harlan später über diese Zeit in Israel geschrieben hat, der eigentliche Film. Er redet von Träumen und Delirium und von Momenten, wo diese fremde Sprache und die Zeichen in der Welt, der er dort begegnete, in seinem Kopf verschwammen mit Bildern aus der Kindheit. Ich hatte das Gefühl, das muss auch ein nicht-gedrehter Film bleiben.
Sie schreiben, dass Romy Schneider und die Sissy-Filme auch in Israel sehr beliebt waren. Wer waren denn die Fans? Jüdische Auswanderer aus Deutschland?
Es waren wohl vorwiegend deutsch-sprachige Juden, auch wenn das heute kaum nachvollziehbar ist. Das Paradox war ja, dass jede Form deutscher Kultur, auch deutscher Nachkriegskultur in Israel verpönt war und teilweise richtig boykottierte wurde. Stark kontrolliert durch Initiativen von Überlebenden, auch von Widerstandskämpfern, die sich dagegen wehrten, dass deutsche Filme oder Musik oder in Israel aufgeführt wurden. Aber das alles galt nicht für Österreich. Und das ist das Interessante: Dadurch, dass österreichische Filme in Israel gezeigt werden konnten, wurden einige bundesdeutsche Filme einfach als österreichische Filme deklariert, um auf diese Weise in die Kinos zu kommen. Dagegen gab es kritische Filme, die nicht gezeigt wurden. Zum Beispiel „Wir Wunderkinder“, der sich kritisch mit der bundesdeutschen Kriegsgesellschaft auseinandersetzt, mit Verdrängung von Verantwortung und Alt-Nazis, die wieder in ihre Positionen kommen. Das Werk durfte bis 1966 trotz mehrerer Anläufe nicht öffentlich gezeigt werden. Was dann sogar den Obersten Israelischen Gerichtshof beschäftigen sollte.
War der Prozess gegen Adolf Eichmann 1961 eine Art Wendepunkt?
Es war ein sehr komplexer, psychologischer, politischer und gesellschaftlicher Moment, und kann als Wendepunkt bezeichnet werden. Zum einen spielt die Zeit eine Rolle. Im Allgemeinen weiß man heute, dass es eine Latenz von 10 bis 15 Jahren braucht, um nach schrecklichen Ereignissen, einen Neuanfang zu beginnen. Zum anderen hatte Israel Anfang der 60er Jahre erstmals wirtschaftlich konsolidiert. D.h. man konnte sich erstmals mit so etwas wie der Aufarbeitung von Geschichte oder der Auseinandersetzung mit dieser traumatischen Vergangenheit auseinandersetzen, weil der Aufbau nicht mehr so zentral im Vordergrund stand.
Dann spielt auch eine Rolle, dass das Wiedergutmachungs-Abkommen zwischen Adenauer und der Ben Gurion Regierung ausgehandelt war. Man hatte auf diese Weise sozusagen eine sicherere Position.
Aber vor allem, glaube ich, dass es das psychologische Moment war, dass weite Teile der israelischen Bevölkerung und auch Teile, die keinen familiären Bezug zum Holocaust hatten oder die die Überlebenden nur kannten als etwas durchgedrehte Leute, die durch die Straßen gingen und rumschrien, das erste Mal diese Geschichten hörten und erfahren konnten, was diese Leute durchlebt hatten. Die Verurteilung von Eichmann und die Genugtuung, das waren, glaube ich, kleinere Aspekt dabei.
Sie führen den Filmproduzenten Atze Brauner ebenfalls als Pionier auf. Welche Stellung hat Brauner in Israel?
Er ist in Israel nicht so furchtbar bekannt, hat aber durchaus eine nicht unwichtige Stellung, weil er der Förderer und Unterstützer des Visual Centers in der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem ist. Das Visual Center hat es sich zur Aufgabe gemacht, möglichst alle Filme zum Thema Shoah und Holocaust zugänglich zu machen in digitalisierter Form. Damals begründete Brauner vor allem mit Unterhaltungsfilmen seinen Erfolg. Ich glaube, es waren persönliche Kontakte zwischen ihm und jemandem wie Menachim Golan, der so das Gegenstück ist, also ein Regisseur-Produzent in Israel, der in den USA gelernt hat und versucht, populäres Genrekino zu machen. Er war später Produzent von „Eis am Stil“, nicht gerade Qualitätskino, obwohl der erste Teil im Wettbewerb der Berlinale lief. Vielleicht stimmte einfach die Chemie zwischen diesen Machertypen. Auch ihre ersten deutsch-israelischen Koproduktionen waren keine anspruchsvollen Filme. Aber trotzdem sind es aus meiner Sicht Pioniere gewesen.
Die Beziehung zwischen Israel und die DDR war eine große Nichtbeziehung. Warum haben sie ihr trotzdem ein Kapitel gewidmet?
Das Bemerkenswerteste dieser Nichtbeziehung war zum Beispiel, dass es Israelis gab, die in Babelsberg studierten. Von Frank Beyers Film „Jakob der Lügner“ (1975) war zum Beispiel von einem israelischen Fernsehkorrespondenten über eine skandinavische Tarnfirma eine Kopie besorgt worden. Aber eben nicht offiziell. Der Film wurde dann in den 80er Jahren als erster DDR-Film in Israel gezeigt.
1993 machte Andres Veils Film „Balagan“ Schlagzeilen. Er zeigt die jüdisch-palästinensische Schauspieltruppe Akko, die in Israel mit der Aufführung des provokativen Theaterstücks „Arbeit macht frei“ für kontroverse Diskussionen sorgte.
Während „Balagan“ in Deutschland wurde, beurteilten Israelis das Theaterstück „Arbeit macht frei“ wurde viel skeptischer Warum diese Diskrepanz?
Das ist ein Phänomen, was durchaus mehr Aufmerksamkeit verdient. Dass es nämlich in einigen Punkten eine sehr gegenläufige Wahrnehmung und sehr große Diskrepanz in der Art und Weise gibt, wie die beiden Länder und Gesellschaften aufeinander gucken. Veils Projekt war wirklich etwas Besonderes, weil er einer der ersten war, der als Deutscher nach Israel kam und ein Thema bearbeitete, was auch mit der deutschen Geschichte zu tun hat. Zudem war das Projekt ein palästinensisch-israelisches Projekt war. Ich glaube, das traf einen bestimmten Nerv: Also Leute in Deutschland, die das faszinierend fanden, die einen anderen Zugang zu dem doch sehr verworrenen Nahost-Konflikt sahen, der gerade an einem Wendepunkt war nach der Intifada. Und dem Gefühl: Ja, die Palästinenser, das sind vor allem junge Kinder, die versuchen, verzweifelt gegen die Besatzer zu kämpfen. Und anschließend ein möglicher Aufbruch durch Rabin und den Osloer-Friedensprozess. In Israel selbst wurden die nationalen Selbstbilder aufgeknackt. Akademiker und kritische Leute kamen und sagten: „Hallo, wir müssen unsere eigenen Mythen hinterfragen. Und dazu gehört auch Holocaust als Gründungsmythos für unser Land.“ Das war ein schmerzlicher inner-israelischer Prozess, in den genau „Balagan“ rein kam. Und wo einige gesagt haben: „Jetzt kommt ein Deutscher, und anstatt über den Holocaust zu reden, wird uns das jetzt hier vorgeführt. Also es ist kompliziert und komplex zwischen beiden Ländern. Trotzdem gibt es immer wieder Phasen der gegenseitigen Faszination.
Lior Ashkenazi spielt in „Walk on water“ (2004) von Eytan Fox einen Mossad-Agenten, der einen untergetauchten Nazi in Deutschland sucht. Warum zeigt der Film ein ziemlich idealisiertes Deutschlandbild?
Für mich ist das ganz stark ein Ausdruck von dem Wunsch der dritten israelischen Generation nach Normalität. Nach dem Wunsch, ein Leben leben zu können, was jenseits von diesen Konflikten und jenseits von diesen schwierigen Entscheidungen existiert. Ich glaube, es gibt ein latentes Schuldgefühl bei vielen jüngeren Israelis und gerade auch bei denen, die versuchen sich in Kunst und Kultur zu engagieren, wegen der Auseinandersetzung mit den Palästinensern. Und für mich war das so ein Ausdruck, dass Deutschland ein bisschen als heile Welt oder als positiv gewendete Gesellschaft wahrgenommen wurde, die als Vorbild für Israel dienen könnte. Ich bin da aber nicht überzeugt von. Ich glaube, gerade diese Konflikte sind das, was unsere Gesellschaft vielleicht auszeichnet. Was eine Dynamik gibt, sich permanent selbst zu befragen. Und das Kino ist vielleicht genau der Ort, an dem diese Auseinandersetzungen möglich sind. Und die sollten dort mit allen Widersprüchen geführt werden.
Warum hat Berlin besonders für junge Israelis diese Anziehungskraft entwickelt?
Berlin ist Teil einer jüdischen Geschichte und jüdischen Erinnerung gewesen. Einige Israelis suchen hier auch nach der eigenen Herkunftsgeschichte. Ich habe ja auch einige Filme behandelt, die jetzt die dritte Generation zeigen, die diese verschütteten und teilweise auch widersprüchlichen Familiengeschichten versuchen aufzudecken. Mann sollte aber auch die ökonomische Anziehungskraft nicht unterschätzt werden.
Was ist für Sie der wichtigste Aspekt Ihres Buches?
Der wichtigste Aspekt ist für mich zu zeigen, dass es immer diesen Austausch gab. Dass jenseits und der politischen oder diplomatischen Ebene und auch zusätzlich zu der menschlichen und persönlichen Ebene, das Kino ein Ort ist, an dem diese Begegnungen stattgefunden haben. Oder durch das diese Begegnungen möglich wurden. Und das auf diese Weise vielleicht ein deutsch-israelischer Raum aufgemacht wurde, den ich als Zwischenraum oder Transitraum bezeichne. In dem die Differenz und auch das Trennende zwischen Deutschland und Israel und zwischen den Menschen hier und dort beibehalten wird und trotzdem auch das Gemeinsame und das Geteilte seinen Ort bekommt.
„Übergänge – Passagen durch eine deutsch-israelische Filmgeschichte“
Autor: Tobias Ebbrecht-Hartmann
Neofelis Verlag Berlin
300 Seiten
ISBN: 978-3-943414-51-6
Preis: 26.00 €
E-Book (PDF)
ISBN: 978-3-943414-35-6
Preis: 26.00 €
Erschienen 2015