Simon Ostermann – „Tehran Derby“

„Du musst Farbe bekennen: Rot oder Blau?“

Nein, das größte aller Fußball-Derbys lautet nicht FC Barcelona gegen Real Madrid, auch nicht Manchester United gegen FC Liverpool oder Schalke 04 gegen Borussia Dortmund. Das größte Fußball-Derby der Welt findet in Teheran statt: Wenn sich die Mannschaften von Esteghlal und Perspolis gegenüberstehen sind nicht nur 100.000 Leute im Stadion dabei, sondern rund 70 Millionen im ganzen Nahen Osten verfolgen das Spiel vor dem Fernseher. Simon Ostermann studiert an der Filmuniversität Potsdam-Babelsberg. Er war im Rahmen eines studentischen Austauschprogramms 2015 in Teheran und hat sich dem Spiel in seinem Film „Tehran Derby“ gewidmet. Der Film wurde gerade für den Deutschen Kurzfilmpreis 2016 in der Kategorie Dokumentarfilm nominiert.  

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Rund 100.000 Besucher strömen in Teheran zum Classico zwischen Esteghlal und Perspolis zusammen. (Foto: Simon Ostermann)

 

Bernd Sobolla: Simon, Du hättest in Teheran 1000 andere Themen filmisch umsetzen können, hast Dich aber für „Tehran Derby“ entschieden. Warum?

Ich bin leidenschaftlicher Fußballfan, vor allem in der Hinsicht, dass mich Fankultur seit vielen Jahren sehr interessiert. In beiden Extremen: Das Verbindende, das Faszinierende, das Begeisternde daran, aber gleichzeitig auch das Beängstigende, das automatisch mitschwingt, wenn ein paar Tausend Leute die gleiche Sache brüllen. Über diese Diskrepanz der Fankultur im Fußball wollte ich schon immer etwas machen. Und ich wusste, dass es dieses große Tehran-Derby gibt, was in Europa relativ unbekannt ist, aber eines der bedeutendsten Fußballspiele der Welt ist. Es ist der Classico des Nahen Ostens, der weit über das eigentliche Fußballereignis hinaus eine Bedeutung hat – sowohl politisch als auch sportlich.

 

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Simon Ostermann drehte „Tehran Derby“ im Rahmen eines Studentenaustauschs in Teheran. (Foto: Simon Ostermann)

 

Immer dort, wo es örtliche Nähe gibt, z.B. Dortmund und Schalke, gibt es eine Rivalität. Geht die Rivalität zwischen Esteghlal und Perspolis darüber hinaus, dass es sich um zwei Vereine in Teheran handelt?

Historisch gibt es sehr große Unterschiede zwischen beiden Vereinen. Es ist so, dass die Blauen (Esteghlal) eher der Verein der Oberschicht sind, traditionell auch eher aus der Schah-Treue heraus kommen. Die Roten (Perspolis) waren lange Zeit der Arbeiter-Verein und sind heute eher dem islamischen Regime verbunden. Da gibt es natürlich im Laufe der Veränderungen, vieles verläuft sich und lässt sich nicht mehr klar definieren. Aber die Grundzüge gelten noch heute.

Wie viele Fans stehen hinter den Vereinen?

Das Spannende ist, dass die Rivalität der beiden Hauptstadtvereine weit über die Stadtgrenzen hinaus gehen, sogar weit über die Landesgrenzen. Auch wenn dieses Spiel manchmal sportlich völlig bedeutungslos ist, von 70 Millionen Menschen im gesamten Nahen Osten im Fernsehen live verfolgt. Als Iraner wird man quasi in einem Trikot geboren. Und auch wenn Du Anhänger anderer Vereine bist oder ganz im Norden des Landes einer kurdischen Minderheit angehörst, hast eine Beziehung zu diesem Spiel, zu diesem Derby. Du musst Farbe bekennen: Rot oder Blau? Das geht so weit, dass das Spiel, das wir gedreht haben, das letzte Spiel der Saison (2015) war. Es war sportlich belanglos, weil keiner der beiden Vereine die Meisterschaft gewinnen konnte. Gleichzeitig wurde die Meisterschaft in einem anderen Stadion entschieden. Und man hat das Spiel, in dem die Meisterschaft entschieden wurde, verschoben, weil die Leute Angst hatten, dass das Stadion nicht voll werden würde, weil alle vorm Fernseher sitzen, um das Derby zu gucken. Das ist eine Dimension, die am ehesten noch im spanischen Classico erreicht wird. Aber selbst der scheint mir landesweit weniger brisant und relevant zu sein als dieses Derby.

Du stellst im Film Leader vor, Leute, die in jeweils einem Block des Stadions die Fans zu Gesängen und Sprechchören animieren. Mir ist aufgefallen, dass diese Leader schon ca. 40 Jahre alt sind. Ziemlich alt im Vergleich zu den Leuten, die man hierzulande im Stadion in ähnlicher Position sieht. Wobei das Ganze in Teheran ohnehin sehr organisiert wirkt. Denn alle Leader versammeln sich vorab und holen sich ihre Instruktionen ab.

Am bemerkenswertesten finde ich, dass es dieses Leader-System gibt, was in Punkten dem Capo-System der europäischen Ultras nahekommt: Man hat einen Vorsänger, der in der Kurve steht und für die Stimmung sorgt. Das geht aber in Teheran weit darüber hinaus, weil diese Leader, die in jedem Block stehen, auch eine regulatorische Funktion haben. Sie sind auf der einen Seite für die Stimmung verantwortlich und für die Lautstärke des Stadions, die atemberaubend ist. Und auf der anderen Seite haben sie aber auch, lapidar gesagt, eine Art Blockwart-Funktion. Du wirst als Leader dafür verantwortlich gemacht, wenn in deinem Block regimekritische Gesänge angestimmt werden, wenn es in deinem Block zu sehr zu Krawallen kommt, wenn in deinem Block etwas passiert, was das übliche Maß an toleriertem Rowdytum überschreitet. Und das ist etwas, was sich entscheidend von der europäischen Fan-Struktur unterscheidet, insbesondere von der Stimmungskultur der Ultras.

Habe ich es richtig verstanden, dass es nicht erlaubt ist, Spieler individuell anzufeuern?

Es ist nicht sonderlich beliebt, individuelle Gesänge anzustimmen. Auch wenn das  kein geschriebenes Gesetz ist. Die Leader sind angehalten, eher den Verein zu unterstützen als einzelne Spieler. Das ist aber nicht so außergewöhnlich. Es gibt auch in der europäischen Szene die Devise: „Spieler sind Söldner. Spieler kommen und gehen. Was zählt ist der Verein!“

Im Iran ist es Frauen verboten, ins Stadion zu gehen. Jafar Panahi hat darüber einen hoch interessanten Film mit dem Titel „Offside“ gemacht. Nehmen Frauen in Teheran dennoch an der Derby-Kultur teil?

Es war mir ein großes Anliegen, diese Ungerechtigkeit zu thematisieren, ohne sie  zu dem zentralen Thema zu machen. Das hätte den Rahmen gesprengt. Uns war es wichtig, einen Film zu machen, der sowohl im internationalen Rahmen funktioniert als auch regional gezeigt werden kann. Ich hatte viele iranische Unterstützer vor Ort, und es war meine Prämisse, dass die nicht gefährdet werden. D.h. wir versuchen im Film das Thema dieser Ungerechtigkeit immer wieder anzusprechen, aber durch die Blume, so dass niemand gefährdet wird. Aber es interessiert jeden. Wir hatten letzten Monat übrigens ein Screening in Teheran, was sehr gut aufgenommen wurde. Und nach dem Screening stand eine Frau auf, griff sich das Mikrophon mit zitternden Händen und sagte, sie danke für diesen Film, und sie hoffe, dass dieser Film einen Beitrag leisten könne, dass auch sie eines Tages ins Stadion dürfe. Das war natürlich so ein Moment, an dem jede Nominierung und jeder Preis irgendwie egal ist. Denn wenn der Film das schafft, dann bin ich demütig, gehe nach Hause und freue mich.

 
Interview: Berlin, November 2016

Info: Tom Tykwer und die Geschichte des Moviemento auf DVD

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„Auf der anderen Seite der Leinwand – 100 Jahre Moviemento“ erzählt nicht nur Tom Tykwers Geschichte. (photo: Bernd Sobolla)