Sion Sono – The Whispering Star

Kurierdienst für die Überbleibsel der Menschheit

Spätestens seit „Love Exposure“ und „Tokyo Tribe“ gilt Sion Sono als einer der wichtigsten japanischen Autorenfilmer. Sein neustes Werk, das am 26. Mai in die Kinos kommt, heißt „The Whispering Star“, ein Science-Fiction-Film, für dessen Aufnahmen er unter anderem nach Fukushima fuhr, um die verlassene Gegend als Hintergrund zu nutzen. Sonos Film spielt in ferner Zukunft, in der der Mensch zu einer gefährdeten Art geworden ist. Achtzig Prozent der Population besteht aus Robotern mit künstlicher Intelligenz. Androide ID 722 Yoko Suzuki  ist einer von ihnen. Als Botin reist sie von Stern zu Stern, um den Menschen, die nunmehr an den einsamsten Orten des Universums hausen, scheinbar bedeutungslose Pakete zu überbringen – Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit. In ihrem Retro-Raumschiff verbringt sie Tag für Tag im selben Trott und braucht oft Jahre, um ein einziges Paket zu überbringen. An trostlosen Orten wandert sie dann umher auf der Suche nach den einsamen Seelen, für die ihre Pakete bestimmt sind und auf deren Inhalt die Menschen ewig zu warten scheinen. „The Whispering Star“ ist ein surrealistischer, komischer, philosophischer Blick in die Zukunft der Menschheit.

Sion Sonos "The Whispering Star"

Yoko (Megumi Kagurazaka) beliefert die letzten Menschen, die im ganzen Weltraum verteilt leben. Foto: Sion Production / Rapid Eye Movies

 

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Sion Sono (Foto: Okamoto Takeshi / Rapid Eye Movies)

Bernd Sobolla: Sion Sono, Sie haben das Drehbuch zu „The Whispering Star“ vor ungefähr 25 Jahren geschrieben, den Film aber erst im letzten Jahr gedreht. Warum?

Sion Sono: Das war nicht meine Entscheidung. Denn das Projekt lag mir grundsätzlich am Herzen, und ich hätte es gern früher realisiert. Aber es war sehr schwer, den Film zu finanzieren. Ich musste also lange warten. Erst im letzten Jahr habe ich dann meine eigene Produktionsfirma, Sion Production, gegründet. Und als ich darüber nachdachte, welchen Film ich als erstes mit ihr drehen wollte, entschloss ich mich (natürlich) für „The Whispering Star“.

In wie weit haben Sie in dem Film persönliche Erlebnisse verarbeitet? Ihre Protagonistin Yoko (Megumi Kagurazaka) arbeitet für einen Weltraumlieferservice. Waren Sie selbst einmal als Paketbote unterwegs? Oder lebten sie in einem Caravan-Park? Das Raumschiff erinnert nämlich stark an einen Campingwagen.

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Megumi Kagurazaka zeigt als Weltraumroboter Yoko eine große Schauspielleistung: zurückhaltend, distanziert und mit einem Hauch Neugier versehen. Foto: Sion Production / Rapid Eye Movies

 

Ich habe nun wirklich Erfahrungen in allen möglichen Jobs, allerdings war ich nie Lieferant. Aber als ich an der Story arbeitetet und versuchte, das Thema des Films (Entfremdung, Roboter, der Niedergang von Emotionen!) umzusetzen, da fand ich, dass eine Lieferantin, die durchs Weltall fliegt, ideal wäre, um all das miteinander zu verbinden. Ich selbst habe schon unter ganz verschiedenen Umständen gewohnt.

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Der Strand von Fukushima diente als Drehort. Foto: Sion Production / Rapid Eye Movies

 

Sie haben unter anderem auch in Fukushima gedreht und einige Einwohner von Fukushima haben sogar einen kurzen Auftritt im Film. War es wichtig für Sie, in diesem verlassenen Gebiet die Stimmung von Aufgabe und Zerstörung einzufangen? 

Ganz so würde ich es nicht ausdrücken. Seit ich für „Land of Hope“ (2012) in Fukushima drehte, also ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe, wollte ich dort immer wieder zum Drehen hin. Für „The Whispering Star“ passte diese Gegend perfekt. Sie ist im übertragenen Sinne nicht von dieser Welt. Also ging ich wieder nach Fukushima.
Yoko liefert viele verschiedene Dinge, die, so scheint es, wichtig für die Menschen sind, die sie bekommen. Sie selbst versucht die Gegenstände, die sie ausliefert (Bilder, Filme, Hüte, Zigarettenstummel, Stifte etc.), zu ergründen, kann ihre Bedeutung aber nicht verstehen. Was sind für Sie die wichtigsten Erinnerungen in Bezug auf die Menschheit?

Ich würde nicht sagen, dass Yoko keine Beziehung zu den angesprochenen Dingen hat. Auch wenn diese natürlich für die Absender und Adressaten eine tiefere Bedeutung haben. Wenn Yoko am Ende die Büchse verpackt, dann geht es dabei um die Erinnerung, die sie an den Mann hat, den sie traf. Yoko hat also angefangen, die Menschen zumindest ein wenig zu verstehen.

Sion Sonos "The Whispering Star"

Sion Sonos „The Whispering Star“ erinnert in seiner Lakonie an Werke von Jim Jarmusch – mit philosophischem Tiefgang. Foto: Sion Production / Rapid Eye Movies