Ein Debütfilm überwältigt die Filmbranche
„Oh Boy“ von Regisseur Jan Ole Gerster ist der große Abräumer der Deutschen Filmpreisverleihung 2013. Sechs Preise insgesamt sprechen eine eindeutige Sprache: Bester Spielfilm, Bestes Drehbuch, Beste Regie, Beste männliche Hauptrolle (Tom Schilling), Beste Nebenrolle (Michael Gwisdek), Beste Filmmusik.

Tom Schilling in einer Glanzrolle: Als Nico driftet er durch den schwarz-weißen Berliner Alltag. (photo: X-Filmverleih)
Inhalte: Niko ist Ende zwanzig und hat vor einiger Zeit seinem Studium geschmissen. Seitdem lebt er in den Tag hinein, driftet schlaflos durch Berlin und wundert sich über die Menschen seiner Umgebung. Mit stiller Neugier beobachtet er die anderen Menschen bei der Bewältigung des täglichen Lebens. Bis zu einem turbulenten Tag: Seine Freundin zieht einen Schlussstrich, sein Vater dreht ihm den Geldhahn zu und ein Psychologe attestiert ihm „emotionale Unausgeglichenheit“. Eine sonderbare Ex-Mitschülerin konfrontiert ihn mit den Wunden der gemeinsamen Vergangenheit, sein neuer Nachbar schüttet ihm sein Herz aus und in der ganzen Stadt scheint es keinen „normalen“ Kaffee mehr zu geben. „Kennst du das Gefühl, dass dir die Leute um dich herum merkwürdig erscheinen? Und je länger du darüber nachdenkst, desto klarer wird dir, dass nicht die Leute sondern du selbst das Problem bist?“

Regisseur Jan-Ole Gerster blickt normalerweise viel entspannter. (photo: Philipp Kirsamer / X-Filmverleih)
Bernd Sobolla: Jan Ole, „Oh Boy“ ist dein Debütfilm. Da liegt die Frage nahe, wie viel deiner persönlichen Biographie im Film steckt.
Jan Ole Gerster: Es gibt schon einige Parallelen, die ich mit meiner Hauptfigur teile. Auch ich habe eher passiv als aktiv studiert, habe zwar zwischendurch immer mal wieder Musikvideos und Dokumentationen gedreht. Aber ich habe noch mehr nachgedacht, wenig praktisch gearbeitet und mich an der dffb selbst verwirklicht.
Wie sahen die einzelnen Schritte aus, die zum Film führten: Dachtest Du zuerst daran, eine Story über Berlin zu drehen, oder stand am Anfang die Idee eines Drifters im Mittelpunkt?
Zunächst ging dem Ganzen eine recht erfolglose Etappe erster Schreibversuche voraus. Aber wenn man das Schreiben auch als eine Auseinandersetzung mit sich selbst begreift, dann kommt man vielleicht an so einen Punkt, wo man denkt: Vielleicht sind auch so ganz alltägliche Momente aus dem eigenen Leben erzählenswert.
Warum hast Du dich für schwarz-weiß entschieden?
Ich glaube, das hat mir geholfen, eine Distanz zwischen mir bzw. meinem Alltag und dem Stoff zu bringen. Zudem ist schwarz-weiß immer ein sehr einfaches, aber eben auch effizientes Mittel, um sich ein bisschen vom Hier und Jetzt zu lösen. Es gibt dem Ganzen auch einen universelleren touch. Natürlich hat für mich Berlin eine große Rolle gespielt. Auch wenn die Geschichte nicht nur in Berlin passieren kann, gibt es wohl keine Stadt, die besser zu der Geschichte passt. Aber ich wollte nicht unbedingt ein Generationenportrait im Jahr 2012 in Berlin abliefern.
Du hast für die einzelnen Szenen Stars wie Ulrich Noethen, Michael Gwisdek oder Justus von Dohnanyi gehabt. Zudem wirken die Szenen in sich geschlossen – fast wie eigenständige Kurzfilme. Ging es dir darum, viele Ideen zu einem Gesamtkunstwerk zu verknüpfen?
Als ich begann, das Drehbuch zu schreiben, hatte ich eine Sammlung an alltäglichen Momenten, die ich mal grotesk und mal berührend fand oder auch aussagekräftig, wenn es um die Beziehung zu meinen Eltern geht. Ich habe einfach angefangen, meinen Alltag zu transkribieren, meine Wahrnehmung für solche Momente auch zu schärfen und zu gucken. Dann hatte ich die vage Vorstellung, dass ich etwas mit einem passiven Antihelden mache. Jemand, der eigentlich nur durch die Begegnung mit anderen portraitiert wird. Mir gefiel die episodische Struktur. Die hat einen besonderen Reiz. Ich glaube, das war auch der Grund, warum ich dann so ein tolles Ensemble zusammen bekommen habe. Das macht eine Nebenrolle attraktiv, weil es eben nicht nur einzelne Auftritte sind, sondern kleine abgeschlossene Geschichten.

Nach vielen Jahren sehen sich Julia (Friederike Kempter) und Nico (Tom Schilling) wieder. Matze (Bildmitte: Marc Hosemann) beobachtet die beiden. (photo: X-Filmverleih)
Dein Protagonist Nico ist intelligent und schlagfertig. Woran ist er eigentlich gescheitert?
Ich wollte keine slacker Figur haben, die desolat in der Wohnung hängt und nicht weiß wohin. Ich fand es wichtig, dass er einen gewissen Intellekt oder zumindest eine Neugier und Beobachtungsgabe hat, die aber auch dazu führt, dass er ins Grübeln gerät. Dieses Grübeln kann aber auch ein Teufelskreis sein, aus dem man schlecht wieder raus kommt.
Du hast einen außergewöhnlichen Soundtrack gewählt. Die Jazzmusik, manchmal ist es gar Dixieland, erinnert an amerikanische Filme der 60er Jahre. Wolltest Du Berlin eine grundsätzlich andere Atmosphäre verleihen?
Ich habe mich in erster Linie gefragt, welche Musik die Stadt für mich persönlich erzählt. Oft wird ja Berlin mit elektronischer Musik assoziiert, mit Musik der 70er Jahre, mit „Einstürzende Neubauten“ oder was auch immer aus dieser Stadt kommt. Das schien mir aber zu keiner Sekunde passend. Ich habe offensichtlich einen sehr nostalgischen Blick auf diese Stadt und finde, dass zu dieser Betriebsamkeit, diesem Quirligen, das Berlin hat, das dazu die Musik wahnsinnig gut passt.