Joachim Valentin – „Filmbilder des Islam“

„Ein Dialog zwischen westlicher Kultur und islamischen Kulturen findet nur bedingt statt.“

 

Einmal im Jahr trifft sich in der Katholischen Akademie Schwerte die Forschungsgruppe „Film und Theologie“, um über aktuelle Themen zu diskutieren. Als Ergebnis dieser Veranstaltung wird i.d.R. ein Buch veröffentlicht, das die jeweiligen Forschungsergebnisse festhält. Im Jahr 2001 entstand so z.B. das Werk „Weltreligionen im Film“ – noch vor den Ereignissen des 11. September. Rund dreizehn Jahre später erscheint nun als Ergänzung dazu vor allem aber zur Vertiefung das Buch „Filmbilder des Islam“, das sich ausschließlich Filmen widmet, die das Leben von Moslems zeigen. Dabei werden rund 50 Filme analysiert, die seither in unseren Programmkinos gelaufen sind. Darüber hinaus wirft das Buch auch einen Blick auf Filme, die in Deutschland gar nicht zu sehen waren. Wobei zwei Schwerpunkte gesetzt werden: Zum auf das türkische Kino bzw. das deutsch-türkische Kino, da nun einmal viele türkische Emigranten in Deutschland leben. Zum anderen auf das Iranische Kino, deren Vertreter seit vielen Jahren immer wieder Preise auf den bedeutendsten Filmfestivals der Welt gewinnen. Bernd Sobolla hat das Buch „Filmbilder des Islam“ gelesen und mit dem Herausgeber Joachim Valentin gesprochen.

 

Bernd Sobolla: Herr Valentin, gab es einen aktuellen Anlass, der das Buch „Filmbilder des Islam“ initiierte?

Joachim Valentin: Es war eher eine Verdichtung von Filmen, die auf internationalen Festivals aufgetaucht sind, aber zunehmend auch in deutschen Kinos liefen. Wir haben das über einige Jahre beobachtet und sagten dann: „Jetzt müssen wir was machen!“ Es gibt ja „Weltreligionen im Film“ aus dem Jahr 2001. Und wir waren der Meinung, im Grunde braucht es so was wie eine Fortsetzung.

Sie sind einer von drei Herausgebern, einer von zehn Autoren. Worum ging es Ihnen und Ihren Mitstreitern, als Sie dieses Buch über Film und Islam schreiben wollten?

Das Buch steht ja in einem großen Zusammenhang. … Wir haben das Thema in zwei ausführlichen Auseinandersetzungen diskutiert und waren dann der Meinung, dass eben verschiedene Dimensionen darin vorkommen sollen. Einmal das europäische Kino. Dann, wir haben ja sehr viele türkische Migranten in Deutschland, gibt es einen Schwerpunkt auf dem türkischen Schaffen. Wir haben auch ein Kapitel „Deutsch-türkische Spiegelungen“, darin geht es zum die Präsenz türkischer Filmemacher in Deutschland. Fatih Akin ist der bekannteste. Aber auch „Türkisch für Anfänger“ von Borat Dagtekin war Anlass dafür. Und dann hat das iranische Kino ein Kapitel verdient. Wir wollten einen möglichst umfassenden Überblick über das Thema „Islam im Film“ bieten.

Sie selber haben ein Essay beigetragen. „Islam und Moderne“. Darin weisen Sie z.B. darauf hin, dass der Islam als Religion lange überhaupt nicht wahrgenommen wurde. Haben Sie dafür auch eine Erklärung?

Ja, das hat damit zu tun, dass in den über 50 Jahren, in denen das Anwerbeabkommen mit der Türkei existier, relativ wenig geschehen ist. Als die sogenannten Gastarbeiter Anfang der 60er Jahre nach Deutschland kamen, waren zunächst einmal die Männer alleine hier. Und Männer alleine bilden im islamischen Verständnis keine Community. Die Familien waren in der Türkei geblieben. Das kann man auch im Film „Almanya – Willkommen in Deutschland“ sehr schön sehen. Es gab also keine muslimische Religionspraxis in Deutschland, erst recht keine öffentliche, keine Moscheen, keine Imame. Bis in die mittleren, späteren 70er Jahre, als dann die Familien allmählich nachkamen. Auch da sprach man immer noch von Gastarbeitern. Dann entwickelte sich eine Multikulti-Thematik:  Man aß Döner, mochte orientalische Gewänder und schöne Schals in Berlin-Kreuzberg. Aber immer noch war vielen in Deutschland nicht klar, dass es sich hier um Muslime handelt. Vielleiht auch weil zu dieser Zeit in Hinterhofräumen und Fabrikgebäuden gebetet wurde und nicht in der Öffentlichkeit.

Sie sprechen u.a. von den Metamorphosen des Islam: Stichworte sind Retraditionalisierung, Konversion und Entwurzelung, Globalisierung, Spiritualisierung und Individualisierung. Was davon ist der wichtigste Aspekt und wie zeigt er sich im Film?

Das ist schwer zu sagen. Also mir fallen zu allen diesen Metamorphosen Filme ein: Individualisierung, da haben wir „Die Fremde“ oder „Shahada“, also zwei Filme, die in Deutschland produziert wurden. Die Retraditionalisierung findet sich überall da, wo über islamischen Fundamentalismus gelacht wird zum Teil auch im Kino oder wo er dargestellt wird. Globalisierung: Schon dass in Deutschland ein Buch über international produzierte Filme entsteht und dass diese Filme in Deutschland zum Großteil ins Kino gekommen sind, ist ein Zeichen für die Globalisierung des Phänomens Islam.  Also die Themen schlagen sich alle im Film auch nieder.

Einen besonderen Stellenwert hat auch der Film „Von Menschen und Göttern“, der nicht nur in Frankreich ein großer Kinoerfolg war. Es geht um christliche Mönche, die in Algerien leben und später ermordet werden. Was ist der wichtigster Aspekt, den der Film uns über den Islam vermitteln kann?

Der wichtigste Aspekt dieses Filmes, der uns als christliche Theologen natürlich besonders interessiert und der dazu eine Situation christlich-islamischer Begegnung außerhalb Deutschlands darstellt, eben in Algerien, zurzeit des Bürgerkriegs dort, ist, dass etwas sichtbar wird über den Islam, was wir auch hier in Deutschland erleben. Nämlich der Konflikt zwischen einem traditionellem Islam, der sich selber als orthodox versteht, der aber verwurzelt ist in einer friedlichen Kultur, und einem Fundamentalismus, der sich nicht nur gegen westliche Kultur wendet, in dem Film nun aggressiv, nämlich mit brutalter Gewalt, sondern auch gegen die eigene Tradition. Also der inner-islamische Konflikt zwischen einer ruhigen Orthodoxie, wie er vielen Ländern im Mittelmeerraum,in Nordafrika, im Mittlerer Osten verbreitet war. Auch viele immigrierte Muslime in Deutschland sind von dieser ruhigen Orthodoxie, sind einfach konservative Muslime, und es gibt eine kleine Gruppe radikalisierter gewaltnaher Moslems. Sie stehen für einen Islam, der zum gewaltbereiten Terror bereit ist. Das hat in Algerien genau so stattgefunden. Wobei die meisten Opfer muslimischen Terrors oder muslimisch motivierten Terrors, Muslime sind. Das vergessen wir häufig. Weil wir im Westen immer nur an die Attentate in New York, Madrid oder London denken.

Besonders gern habe ich das Kapitel „Islamklischees“ von Ludwig Amman gelesen. Ein großartiger Text. Mit dem Brett schlägt er uns allen vor den Kopf. Er schreibt: „Wenn der Islam thematisiert wird, dann fast immer als konfliktträchtiges Problem. Es werden Klischees bedient, um erfolgreich zu sein“. Sehen Sie das auch so?

Ich sehe das genauso wie Herr Amman. Auch wenn wir alle uns ertappt fühlen bei diesem Artikel. Denn wir sind natürlich die Kinogänger, die das Thema Islam auch gerne genommen haben im Kino und vieles dort für bare Münze gehalten haben, was sich dann doch als sehr zielgenaue Produktion für den westdeutschen Markt herausgestellt hat. Mir ist das zum ersten Mal aufgefallen bei den Filmen der Familie Machfalbach aus dem Iran, ein Film über den Afghanistan-Konflikt, wo wir bunte Gewänder sehen, Burkas. Und wir sehen: Ja, genauso ist das. Und hinterher stellt sich heraus: Es ist nur das westliche Schaubedürfnis nach bunten Farben und orientalistischen Klischees befriedigt worden. Dasselbe gilt für die Frauenfrage im Islam im Kino. Das finde ich bei Amman auch ein bisschen böse, wenn er sagt: „Irgendwo auf der Welt muss es doch noch Frauenunterdrückung geben, um den Feminismus zu rechtfertigen.“ Und da kommt vielen intellektuellen Damen und Herren mittleren Alters der Film mit islamischen Themen wunderbar zu passe. Weil man sieht: Da geht es den Frauen noch richtig schlecht. Also muss man für die Frauenbefreiung kämpfen. Und viele anderer solcher Klischees und Schieflagen finden wir in diesem Artikel. Es geht auch umsere Wahrnehmung: Nur wer zu tunesischen oder algerischen Filmfestivals fährt, erfährt, dass in den Ländern vor Ort ganz andere Themen eine Rolle spielen. Vor allem in Fernsehserien, die natürlich überall auf der Welt en vogue sind und in denen es eben nicht um Islam geht, sondern um ganz andere Fragen des Alltags.

Um Unterhaltung?

Zum Bespiel. Aber auch um Geschlechterrollen. Da werden zum Teil europäische und orientalische Modelle gegeneinander gestellt. Das ist für uns Europäer zum Teil  von der Ästhetik her kitschig, süßlich, emotional, ein bisschen ähnlich wie im Bollywood-Kino.  Da ist fast kein kultureller Transfer möglich, was diese Filme angeht. Deswegen kommt sie auch nicht ins deutsche Kino oder ins deutsche Fernsehen.

Und wenn doch, wie im Falle von „Kumu“, ein Film über eine Matriarchin, dann floppt das Ganze. Das heißt aber auch, dass die türkische oder islamische Community (hierzulande) kein Interesse daran hat.

Das würde ich nicht sagen. Ich glaube, wir sehen das in Frankfurt sehr schön, wo in einigen Mainstreamkinos inzwischen türkische Filme in der Originalsprache laufen. In Berlin wird es auch so sein und in Köln. Dass hier immer noch zwei Filmkulturen auch in Deutschland von uns, von der deutschen Mehrheitsgesellschaft unbemerkt parallel nebeneinander laufen, in der Originalsprache mit Themen, denken wir an „Das Tal der Wölfe“, der lief sehr erfolgreich in Deutschland, in denen türkischer Nationalismus abgefeiert wird, oder dieser Film um den Sultan der Konstantinopel erobert hat, 1453, davor stehen wir ratlos: sowohl was die Ästhetik, die Dramaturgie und die Themen angeht. Und das ist etwas, was man in dem Band, der insgesamt ja informieren will einfach auch mal resigniert feststellen muss. Das, wovon wir glauben, dass es im Kino stattfindet, nämlich der Dialog zwischen westlicher Kultur und islamischen Kulturen, der findet doch immer nur bedingt statt. Also letztlich laufen hier immer noch zwei Kulturen nebeneinander. Und wir haben hier eine Menge Wegstrecke vor uns, bis wir uns gegenseitig auch im Kino verstehen.

Zu dem Film „Koran Kinder“ heißt es in dem Buch, dass der Verleih damit wirbt, dass es ein islamisches Bilderverbot gebe. Und der Regisseur eine außergewöhnliche usw. so etwas hat man noch nie gesehen. Aber grundsätzlich hat der Islam ein anderes Bildverständis, wenn es um religiöse Inhalte geht, oder?

13/42 Definitiv. Auch im orthodoxen nicht-fundamentalistischen Islam ist eine Darstellung Muhammads ganz schwierig. Und es gibt Gruppen, die jede Art von Darstellung von Natur und Menschen überhaupt ablehnen. Deswegen gibt es ja auch in Ländern, die eine ungebrochene islamische Prägung haben, kaum eine Kinokultur. Die Kinokultur ist in die Länder in den Nachkriegsjahren gekommen durch westlich orientierte, säkulare Regierungen oder Kulturschaffende. Aber eigentlich nie durch bekennende Muslime.

Warum hat es in Deutschland fast 50 Jahre gedauert, um ein Genre „multikultureller Heimatfilm zu etablieren?

Das stimmt nicht ganz. Mein großes dagegen sprechendes Ausnahmebeispiel ist immer Fassbinders „Angst essen Seele“ auf. Der zeigt natürlich auch ein sonderbar schräges, nicht-muslimisches Bild dieses marokkanischen „Gastarbeiters“, der da mit Brigitte Mira im Mittelpunkt des Films steht. So ist das lange gewesen. Das waren die Unterdrückten. Um die hat sich Günter Walraff vielleicht gekümmert oder ein schräger Filmemacher wie Fassbinder. Aber es war immer ein marginalisiertes Thema. Und letztlich ist es die langsame, stetige, aber heute eben unaufhaltsame Einwanderung von migrantischen Medienmachern, Filmkritikern, Moderatoren, Fernsehleuten, Radioleuten. Also beim „Tatort“ kann man das ganz gut sehen, wie nach und nach – erst in Nebenrollen, dann in Hauptrollen – Migranten auftauchen. Und heute sind wir in einer anderen Situation. Aber es hat eben wirklich grob 40 Jahre gedauert. Und wenn sie an die „Schimanski“-Filme denken, da kommt kaum mal ein Migrant vor. Und das in den 80er Jahren, mitten im Ruhrpott! Das gibt einem schon sehr zu denken. Also die deutsche Mehrheitsgesellschaft hat, was ihr Medienverhalten angeht, lange die Augen kräftig verschlossen. Und die Medienmacher, auch in den öffentlich-rechtlichen Sendern, haben da kräftig mitgewirkt.

Und dann gibt es jemanden in Hamburg, der heißt Fatih Akin, macht brillante Filme und erfreut uns alle. Was schenkt uns Fatih Akin mit seinen Filmen?

Fatih Akin trägt all diese Konflikte offen aus. Aber nicht mit erhobenem Zeigefinger, nicht wie aus dem Lehrbuch, das ist kein Thesenkino. Sondern er zieht uns ganz tief in zwischenmenschliche Konflikte. Das sind Familientragödien, die sich da abspielen, Einzelschicksale, die so brutal ehrlich dargestellt werden. „Gegen die Wand“ ist wahrscheinlich noch immer der stärkste Film, aber auch „Auf der anderen Seite“ gehört dazu. In dem er uns ganz selbstverständlich in seinen Tragödien und Dramen die Brücke zwischen Deutschland und der Türke zeigt, Schicksale von gar nicht primär religiösen Immigranten ins Bild bringt, schafft er aus unserer Perspektive eine Selbstverständlichkeit, die dem Thema natürlich unheimlich gut tut. Also wir merken das erst gar nicht, in welchen Milieus wir uns bewegen und stellen hinterher fest: „Mensch, das hast du noch nie gesehen. Diese Welt kennst du nicht. Und trotzdem packt sie dich, trotzdem geht es um die Dinge, die uns alle umtreiben.“ Und das ist, glaube ich, die große Leistung von Fatih Akin. Dass er einerseits diese Drama bringt, andererseits aber große Konfliktthemen, gesellschaftliche Fragen aufwirft, die einem oft erst beim zweiten Mal vor Augen treten.

Was können wir, vor allem Nicht-Moslems, von „Türkisch für Anfänger“ lernen?

Türkisch für Anfänger“ funktioniert vor allem deshalb so gut, weil die Zielgruppe, die 13- bis 25-jährigen, in einer ganz anderen Weise Migration erleben. In diesen Jahrgängen ist die Anwesenheit von Mitschülern mit Migrationshintergrund selbstverständlich. Und genau die Situation einer interkulturellen Beziehung inkl. Kinder und Freunde bringt der Film bzw. die Serie ins Bild. Von daher würde ich diesem Film auch eine starke positive Wirkung zusprechen, gerade weil er so erfolgreich war. Der Islam taucht aber eher in Klischees auf. Das wird in unserem Beitrag auch deutlich. Und dann muss man doch schon genauer hinschauen. Man darf wohl eine Serie nicht mit allzu vielen pädagogischen Thesen überfrachten. Aber da muss man schon genauer hinschauen. Den Islam sieht man in „Türkisch für Anfänger“ eher nicht.

„Filmbilder des Islam“
Reihe: Film & Theologie
Autoren: Stefan Orth, Michael Staiger, Joachim Valentin

Schüren Verlag Marburg, 256 Seiten, 40 Abb., broschiert, 2014, Preis: 19,90 €