Matthias Glasner – „Landgericht“

 ZDF-Event 2017: (30. Januar und 1. Februar, 20.15 Uhr)

„Ich habe die Befürchtung, dass sich diese Bilder gegenseitig auslöschen“

Der Regisseur Matthias Glasner über das jüdische Familiendrama „Landgericht“

Der Titel klingt langweilig, aber „Landgericht – Geschichte einer Familie“ ist in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung im deutschen Fernsehalltag. Und für außergewöhnliche Filme steht Regisseur Matthias Glasner ohnehin („Der freie Wille“, „Gnade“): Der Werk besteht aus zwei Teilen von je 105 Minuten. Schon das hat es im ZDF noch nie gegeben. Auch wurde im deutschen Fernsehen die Judenverfolgung noch nie so gewaltfrei inszeniert. Glasners Film wirkt fast ausschließlich assoziativ. Und mit Ronald Zehrfeld und Johanna Wokalek hat er ein großartiges Filmpaar gefunden, das mit nur wenigen Dialogen das Drama der ungewollten Familienauflösung durchleidet. Vor allem aber zeigt der Film, wie die wenigen Juden, die nach 1945 nach Deutschland zurückkamen, die Ablehnung ihrer ehemaligen Verfolger erlebten: Eine Mischung aus Verdrängung, Ignoranz und Hass. Die Verfilmung des preisgekrönten gleichnamigen Romans von Ursula Krechel erzählt (nach einer wahren Begebenheit) vom jüdischen Richter Richard Kornitzer und seiner Frau Claire, die die Verfolgung während der Nazizeit erleben. Die Bedrohung richtig einschätzend, schicken sie ihre Kinder 1938 mit einem jüdischen Kindertransport nach England. Was sie nicht wissen: Es wird zehn Jahre dauern, ehe sie sie wiedersehen. Richard selbst flieht als Jude nach Kuba, Claire bleibt allein in Deutschland. Nach Kriegsende kehrt Richard zurück. Über Hilfsorganisationen finden Claire und Richard schließlich ihre Kinder. Doch die haben sich ihnen im englischen Exil entfremdet. Und Richard, der mit Unterstützung der Alliierten eine Stelle im Landgericht bekommt, sieht sich dort umgeben von ehemaligen Mitgliedern der NSDAP und SA…

Richard (Ronald Zehrfeld) wird in Mainz eine Stelle als Richter antreten. Ehefrau Claire (Johanna Wokalek) bleibt zunächst jedoch zurück im Schwäbischen.

Richard (Ronald Zehrfeld) wird in Mainz eine Stelle als Richter antreten. Ehefrau Claire (Johanna Wokalek) bleibt zunächst jedoch zurück im Schwäbischen. (Foto: ZDF-Pressestelle)

 

Bernd Sobolla: Matthias Glasner, Sie haben bereits sechszehn Filme gedreht, aber Landgericht“ ist Ihr erstes historisches Werk. Braucht man eine gewisse Reife, um sich an Historienfilme heranzuwagen, insbesondere wenn es um die Aufarbeitung der NS-Zeit geht?

Matthias Glasner: Es war jedenfalls keine spontane Entscheidung. Ich hatte schon länger darüber nachgedacht, einen historischen Film machen zu wollen. Es gibt übrigens ein anderes Projekt, das ich hoffentlich bald realisieren kann, an dem ich schon länger arbeite. Jedenfalls beschäftigt mich das Thema „historisches Kino“ schon länger. Im Fall von „Landgericht“ ist das Projekt an mich herangetragen worden. Die Geschichte, die ich nicht kannte, hat mich gleichermaßen berührt und gefesselt, so dass ich dachte: Das muss man erzählen! Als es um die Umsetzung ging, habe gar nicht so sehr über das Historische nachgedacht, sondern mich auf die Familiengeschichte und das Thema „Flucht und Vertreibung“ konzentriert. Das ist ja fast eine archaische Geschichte. Und ich habe gleich zu meinem Kameramann Jakub Bejnarowicz gesagt: „Lass uns das nicht als Historienfilm denken!“ Und an die Frauen, die für das Szenenbild und das Kostümdesign verantwortlich waren (Petra Heim, Wiebke Kratz und Heike Hütt), hatte ich nur eine Bitte: „So historisch wie nötig, und so zeitlos wie möglich!“ Deswegen haben wir, wie ich finde, eine sehr moderne Ästhetik. Also modern in dem Sinn, dass der Film sich nicht anfühlt wie ein musealer Historienschinken.

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Der Regisseur feierte bereits große Erfolge mit Filmen wie „Der freie Wille“ oder „Gnade“. „Landgericht“ ist sein erster historischer Film.

Er wirkt besonders bei den Innenaufnahmen im Berlin der 1930er Jahre sehr modern, zumal da Elemente der Bauhausarchitektur auftauchen; aber auch Claire Kornitzer drückt diesen modernen Stil mit ihrer eleganten Kleidung aus.

Absolut! Das war schon im Roman so angelegt. Die Familie Michaelis, auf deren Erlebnisse der Roman beruht, wohnte in einem Haus in Berlin hinter dem Mendelsohn-Bau (Berlin-Wilmersdorf), also dort, wo heute die Schaubühne steht. Wir haben uns das alles angeguckt und haben überlegt, in der Wohnung oder zumindest in dem Haus zu drehen. Allerdings waren die Wohnungen alle ein bisschen klein. Dann haben wir in Berlin-Charlottenburg eine ähnliche Architektur gefunden, deren Räumlichkeiten aber etwas größer sind. Das war ein richtiges Geschenk, das wir diese Klischees vermeiden konnten und auch keine Altbauwohnung mit den üblichen braun-beigen Tapeten haben, die man sonst immer in Nazi-Filmen sieht. So erhält der ganze Film ein fast zeitloses Design.

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Der Abschied naht. Richard (Ronald Zehrfeld) muss sich von seinen Kindern trennen.

 

Was ich auch erstaunlich fand und was mir positiv aufgefallen ist, dass es kaum Gewalt gibt. Sie erzählen einen Film über die Kriegs- und Nachkriegszeit, und selbst in den gewalttägigen Momenten arbeiten sie assoziativ. Gab es für diese Herangehensweise dramaturgische Gründe?

Es gibt ja sehr viele Filme über die NS-Zeit. Dadurch wiederholen sich zwangsläufig Situationen und Bilder. Und ich habe die Befürchtung, dass sich diese Bilder irgendwie gegenseitig auslöschen – eben durch ihre ständige Wiederholung. Irgendwann wirken sie einfach sinnentleert. Wenn man denselben Satz wieder und wieder sagt, dann verliert er seine Bedeutung. So ist das auch mit den Nazi-Gräueln, bzw. deren Darstellung. Deswegen haben wir so etwas vermieden. Wir haben uns ins Abstrakte bewegt. Im Film gibt es außer der Familie nur einen Juden in Berlin zu sehen, Jonathan Roth (Christian Berkel). Wir sehen ihn in seinem Laden, und wir sehen, wie das Geschäft langsam verschwindet. Wir sehen aber nicht, dass Roth abgeholt wird. Es gibt nicht den üblichen Transportwagen, die Nazi-Schergen springen runter und brüllen: „Juden, los, rauf auf den Wagen!“ Wir haben darauf verzichtet, weil diese Dinge irgendwann zum Klischee ihrer selbst werden, an Kraft verlieren und  bedeutungslos werden. Deswegen haben wir immer versucht, andere Bilder dafür zu finden, die frisch und originär sind und deshalb berühren.

Inwieweit ist der Film biographisch bzw. inwieweit haben Sie sich von der Romanvorlage gelöst?

Bei der Inszenierung muss man sich immer davon lösen, weil es darum geht, dass die Schauspieler eine neue Wirklichkeit herstellen. Egal ob es sich um biographische Charaktere handelt oder fiktive. Am Ende geht es für mich als Regisseur nur um die Menschen, die vor meiner Kamera stehen und die ich zum Leben erwecken muss. Die Buchautorin Ursula Krechel hat in ihrer Geschichte viele verschiedene wahre Schicksale vereint. Also der Kern, das Schicksal dieser Familie, ist absolut real. Es hat aber dann, z.B. unter den jüdischen Kindern, die nach England kamen, sehr viele unterschiedliche Schicksale gegeben. Es ging darum, ein Bild dieser Zeit zu schaffen und eine fiktionale Familie, die auf einer wahren beruht.

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Zehn Jahre später begegnet Claire (Johanna Wokalek) ihren Kindern in England wieder.

Auch die Musik ist zurückhaltend eingesetzt. Keine übliche Geigen, die die Herzen der Zuschauer ergreifen sollen.

Im ersten Teil gibt es relativ viel Musik, im zweiten Teil weitaus weniger. Die Musik haben wir nicht punktuell eingesetzt, um auf die Tränendrüse zu drücken, sondern um eine Verbindung der verschiedenen Welten herzustellen. Sie soll einen dramaturgischen Leitfaden geben. Gerade der erste Teil spielt an verschiedenen Orten: Berlin, Kuba, Baden-Württemberg, Nord-England und London. Da hat die Musik die Aufgabe, Resonanzräume zu schaffen, in denen man eine Verbindung zwischen den Charakteren spürt. Das aber auf zurückhaltende und dennoch spannende Weise. Lorenz Dangel hat das großartig arrangiert.

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Richard arbeitet als Richter im Landgericht, aber sein Umfeld ist ihm noch immer / wieder feindlich gesinnt.

Wir haben die Modernität bereits angesprochen. War ein Grund für diese zeitliche Lösung, dass wir in Europa gerade die größten Flüchtlingsströme seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt haben?

Ja, dieser Gedanke kommt zwangsläufig. Aber den muss man gar nicht betonen. Es ist eben eine Geschichte über Flucht und Vertreibung, und wir leben momentan in einer Zeit, wo Flucht und Vertreibung das prägende, weltumspannende Ereignis sind das uns gerade erschüttert. Unsere Geschichte schlägt dadurch von selbst einen Bogen. Wir haben das in der Inszenierung gar nicht weiter betonen. Mit Ausnahme der letzten Szene: Wenn Richard seine Tochter wieder sieht, gibt es eine Einstellung in einem Warteraum. Da habe ich gesagt: „Lasst uns diesen Warteraum mit Menschen gestalten, die dasitzen und aus den verschiedensten Nationen und Kulturen kommen!“ Im Hintergrund erkennt man einen Flughafen, und man sieht Gitterstäbe. Dieses Bild könnte man eins zu eins auch in einem heutigen Film über eine Flüchtlingssituation in einem Flughafen machen. In einem Bundesgrenzschutzgebäude sieht es auch so aus. Es ist ein kleiner Moment, in dem wir einmal kurz sagen: „Eigentlich könnte alles heute so stattfinden.“

Um das Fernseh-Event abzurunden, zeigt das ZDF am 30. Januar im Anschluss an den ersten Teil „Landgericht – Die Dokumentation“ von Annette von der Heyde.    

Hinweis:

Tom Tykwer und die Geschichte des Moviemento auf DVD

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„Auf der anderen Seite der Leinwand – 100 Jahre Moviemento“ erzählt nicht nur Tom Tykwers Geschichte. (photo: Bernd Sobolla)