“Houses without doors” schildert, wie der Krieg in Syrien auch vor Aleppo nicht Halt macht
Im Norden Syriens wurden vor wenigen Tagen fünf Krankenhäuser und zwei Schulen durch Luftangriffe zerstört. Wer verantwortlich für die Angriffe ist, darüber gehen die Meinungen auseinander: Waren es russische Bombardements oder Assads Truppen, IS-Kämpfer, syrische Widerständler oder etwa kurdische Soldaten? Tatsache ist: Es geschah unweit der türkischen Grenze. Dort liegt auch die Stadt Aleppo. Sie ist nach Damaskus die größte Stadt des Landes, hatte vor dem Krieg rund 2,5 Millionen Einwohner und galt als Hauptstadt der Islamischen Kultur. Heute ist von der Pracht nicht mehr viel übrig. Der armenisch-syrische Regisseur AvoKaprealian dokumentierte den Krieg in Aleppo in seinem Film „Houses without doors“, der auf der Berlinale im Forum läuft. Ein eindringliches Werk, in dem kein einziger Soldat zu sehen ist, der den Niedergang eines ganzen Stadtviertels hingegen eindrucksvoll.

Menschen in der Al-Midan-Straße in Aleppo – während einer Feuerpause. Foto: Bidayyat for Audiovisual Arts Beirut, Libanon
Bernd Sobolla: Avo Kaprealian, Ihr Film handelt von Aleppo, genauer gesagt von der Al-Midan Straße. Wofür steht dieser Teil von Aleppo?
Avo Kaprealian: In der Al-Midan Straßen gab es einst ein Camp für die Armenier, die nach dem Völkermord im Ersten Weltkrieg aus dem Osmanischen Reich flohen. Viele von ihnen flohen gen Süden und erreichten Aleppo. Es wurden damals mehrere Flüchtlingscamps gebaut und eines davon war in der Al-Midan-Straße. Die Armenier nannten das Gebiet rund um den Straße „Neues Dorf“. Bis heute leben hier hauptsächliche Menschen mit armenischen Wurzeln.
Fühlen sich die Armenier in Syrien als Syrer?
Auf jeden Fall.

Der armenische Syrer Avo Kaprealian.
Wie hat sich Ihr Filmprojekt entwickelt? Haben Sie mit einem konkreten Konzept angefangen zu filmen, oder hat sich das eher „zufällig“ entwickelt, als Sie die Veränderungen in Ihrer Umgebung filmten?
Ich habe Anfang 2012 begonnen zu drehen. Zu dieser Zeit hatte der Krieg in Syrien schon begonnen, aber er war noch nicht in Aleppo angekommen. Ein Grund, weshalb ich mit dem Drehen anfing, war, dass ich sehen wollte, warum sich Aleppo von den anderen Teilen Syriens unterschied. Also finge ich an, ganz alltägliche Straßenszenen zu drehen. Nach einigen Wochen kamen Mitarbeiter der Staatssicherheit zu mir, durchsuchten unsere Wohnung und zerstörten meine Festplatte. Zuerst war ich völlig geschockt. Dann aber nahm ich meine Dreharbeiten wieder auf, war vorsichtiger, aber entschlossener denn je. Ich empfand das alles als eine große Herausforderung. So nahm ich fast jeden Tag kurze Sequenzen auf von Menschen, die fernab von allen politischen Entwicklungen in unserer Nachbarschaft lebten. So drehte ich zwei Jahre lang: von 2012 bis Ende 2014, und ständig veränderte sich die Situation.
Die Zuschauer können ständig Bomben und Schüsse hören, aber sie sehen keine Soldaten. Wer war für die Angriffe verantwortlich?
Das ist schwer zu sagen. Die Soldaten befinden sich irgendwo und werfen, was auch immer sie an Kriegsgerät haben. Im Gegensatz zu früher hat sich das Konzept des Kämpfens sehr verändert. Früher gab es noch richtige Schlachten, die Soldaten kämpften miteinander oder konnten sich zumindest sehen. Heute haben sie andere Waffen: Die meisten Bomben werden von weit weg abgefeuert. Es gab einige wenige Momenten, in denen ich Soldaten sah, aber ich wollte sie nicht im Film haben. Besonders die Al-Midan-Gegend ist eine Art Fronlinie, an der verschiedene Truppen kämpfen, ohne sich unmittelbar gegenüberzustehen.
Gegen Ende des Filmes fliehen Sie. Wie war das mit Ihren Nachbarn? Flohen diese ebenfalls?

Kaprealians Mutter auf dem Balkon der Familie. Von dort drehte Teile des Films. Foto: Bidayyat for Audiovisual Arts Beirut, Libanon
Im Film flieht meine Familie, das stimmt. Aber sie steht repräsentativ für fast alle Familien in Syrien. Das gilt zumindest für fast alle Armenier in Syrien. Als wir flohen, war die Al-Midan-Straße zu 90 Prozent leer. Fast alle waren weg.
Was empfanden Sie, wenn die Bombeneinschläge immer näher kamen?
In meinem Film verfolge ich auch das Konzept des Beobachtens. Wir konnten die Brände und die Rauchwolken links von uns sehen, dann rechts von uns und dann entdeckten wir sie vor uns. Ich war 100-prozentig überzeugt, dass der Krieg alle erreichen wird. An einem Ort wie Aleppo oder Homs zu leben ist schrecklich. Ich bin mir sicher, dass alle Syrier auf die eine oder andere Art traumatisiert sind. Sie können sich nicht normal benehmen. Sie leben mit den Kriegsgeräuschen im Kopf.
Man kann im Film einige Schriftzüge an Mauern erkennen, die Unterstützung für Assad fordern. Ist er in Aleppo noch so populär?
Assad hat in einigen Landesteilen noch eine gewisse Popularität, aber nicht in Aleppo. Die Leute in Aleppo hassen nichts, auch keine bestimmte Personen. Sie wollen einfach nur, dass der Krieg aufhört, um sich dann der Zukunft zuzuwenden. Alle sind einfach nur kriegsmüde.
Sie haben in Ihrem Film nicht nur das Filmmaterial aus Aleppo, sondern auch Szene aus alten Spielfilmen. Warum?
Ich habe Szenen aus vielen internationalen Spielfilmen eingebaut. Zum einen wollte ich weder Gewalt noch Blut geschweige denn Leichen zeigen. Vor allem aus dem Film „El Topo“ von Alejandro Jodorowsky. Er ist ein sehr spezieller Regisseur, ein etwas verrückter Typ, der keine Grenzen kennt, eine große Vorstellungskraft hat und wichtige menschliche Botschaften in seinen Filmen zeigt. Er erzählt immer von der Natur des Menschen und die Geschichte. In „El Topo“ sieht einen Mann und Sohn durch die Wüste ziehen. Das erinnerte mich an meinen Vater und mich und gleicht einer Verbindung zwischen den Generationen. Wie die junge Generation das wiederholt, was die alte zuvor machte. Das ist das, was uns Menschen verbindet.