Wer Regeln brechen will, muss über sein kreatives Unterbewusstsein gehen
Der Hollywood-Dramaturg und Autor Syd Field veröffentlichte 1979 das erste Buch zum Thema Drehbuchschreiben: Sein Werk „Das Drehbuch – Grundlagen des Drehbuchschreibens“ („Screenwriting – The Foundation of Scriptwriting“) wurde in 22 Sprachen übersetzt und gilt als Klassiker des Genres. In diesem erläutert er die Drei-Akt-Struktur, die dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Protagonist am Ende des ersten Aktes aus seinem täglichen Leben getrieben wird. Im zweiten Akt kämpft er gegen allerlei Hindernisse, um ein Ziel zu erlangen. Im dritten Akt erreicht er sein Ziel, um anschließend geläutert oder gestärkt auf einer anderen Ebene sein Leben vorzuführen. Bis zu seinem Tod 2013 galt Syd Field als der Drehbuchguru schlechthin; der „Hollywood Reporter“ bezeichnet ihn gar als den „meistgefragten Drehbuchlehrer der Welt“. In seinem zweiten bedeutenden Buch „Filme schreiben“, das 2001 erschien, widmete sich Syd Field dem Drehbuchschreiben unter dem Aspekt, dass sich jede Generation von Autoren verändern muss, weil sich die Themen und Bedürfnisse des Publikums verändern. In dem Buch analysiert er vier Filmen, die in den 90er Jahren eine neue Ära des Drehbuchschreibens einläuteten: „Terminator 2“, „Der mit dem Wolf tanzt“, „Thelma und Louise“ und „Das Schweigen der Lämmer“. Gemein ist diesen Filmstoffen, dass sie thematisch alle bisherigen Klischees sprengten: Nie zuvor wurde z.B. die Wut der Frauen thematisiert angesichts der Art, wie Männer mit ihnen zuweilen umgehen. Oder die Möglichkeit, dass ein Massenmörder und Kanibale so nett und freundlich sein kann wie unser Nachbar…
Bernd Sobolla: Syd Field, Sie sagen, dass Autoren das Drehbuchschreiben in gewisser Weise für jede Generation neu erfinden müssen. Inwieweit unterscheidet sich das Schreiben für die aktuelle Generation von der der vorherigen Generation?
Syd Field: Im 20. Jahrhundert schrieben wir Filme zwar auf verschiedene Art, aber es handelte sich doch immer um lineare Geschichten. Das heißt, sie begannen am Anfang und gingen dann bis zum Ende der Geschichte. Jetzt im 21. Jahrhundert machen wir das nicht mehr unbedingt so. Wir können am Anfang beginnen oder wir beginnen mit dem Ende und springen dann zwischen Anfang, Mitte und Ende hin und her. Es gibt keine festgesetzte Reihenfolge. Nur die Storyline sollte so verstanden werden, dass die Zuschauer wissen, was passiert.
“Pulp Fiction” oder “Lola rennt” sind dafür nur zwei Beispiele. Handelt es sich dabei um einen Trend oder eher um eine Bewegung?
Ich glaube, das kann man noch nicht beantworten. Es handelt sich auf jeden Fall um ein verändertes Bewusstsein des Filmeschreibens. Und wohin das führt, da bin ich mir noch nicht sicher. Grundsätzlich sind wir in der Lage, ein Story sowohl linear als auch nicht-linear zu erzählen. Nehmen Sie “Erin Brocovich”, eine wunderbar erzählte lineare Geschichte. Und dann schauen Sie “Magnolia” oder “Matrix”, zwei wunderbare nicht-linear erzählte Filme. Es liegt also an uns Drehbuchautoren, wie wir eine Geschichte erzählen. Aber wie wir es auch machen, insgesamt nähern wir uns Romanen an.
Glauben Sie, dass sich mit der Technik des nicht-linearen Schreibens auch eine andere Art von Geschichten entwickeln werden?
Ich denke, es wird sich einiges verändern. Aber grundsätzlich werden wir Geschichten erzählen, die sich mit Wiederkehrendem befassen, mit Emotionen, menschlichen Wünschen und Sehnsüchten. Aber die Form, wie wir diese Geschichten erzählen, wie sie aussehen, die wird sich vielleicht verändern.
In Ihrem Buch sprechen Sie unter anderem davon, dass sich alles auf ein bestimmtes Ziel fokussieren muss. Können Sie das konkretisieren?
Um das Prinzip eines Drehbuchs zu verstehen, muss man die Struktur verstehen. Im Zentrum eines Films steht die Story. Aber beim Schreiben des Drehbuchs geht es vor allem um die Struktur. Solange es dir gelingt, deine Story nicht aus den Augen zu verlieren, was das Prinzip von Struktur ist, bist Du auf dem richtigen Weg. Ein Drehbuch zu haben, bedeutet Struktur zu kreieren.
Sehen Sie Unterschiede zwischen erfolgreichen europäischen und amerikanischen Filmen?
Das ist schwierig, denn da werden zwei unterschiedlichen Geschichten erzählt. Europäische Filme sind mehr von den Charakteren geprägt, also vom emotionalen Zustand der Charaktere. In den USA geht es vor allem um Bang, Bang und Aktion, es sei denn du erzählst einen sozialen Film wie Erin Brokovich. Von dem Film bin ich wirklich sehr beeindruckt.
Sie waren der erste, der ein Buch über das Drehbuchschreiben schrieb, und sie stellten bestimmte Regeln auf. Gibt es für Autoren bestimmte Regeln, wie sie diese Regeln brechen oder überwinden können?
Der einzige Weg, Regeln zu brechen, ist der, über dein kreatives Unterbewusstsein zu gehen und dich von deinem inneren kreativen Selbst leiten zu lassen.
Sie sprechen da von einer inneren Stimme. Sie erwähnen auch, dass man die Kreativität vor allem am Morgen finde, wenn man aufwacht. Sind Sie von indischer Philosophie beeinflusst?
Oh ja, sehr! Ich liebe indische Philosophie. Die östliche Philosophie hat eine unglaubliche Tiefe, es gibt so viel zu entdecken.
Was war bei Ihnen zuerst da? Waren Sie zuerst von indischer Philosophie angezogen oder vom Drehbuchschreiben?
Zuerst war ich vom Drehbuchschreiben angezogen, und dann interessierte ich mich zunehmen für indische Philosophie und Mythologie.
Transformation scheint etwas sehr Wichtiges für Sie zu sein. Vor allem wenn es um die Zukunft geht. Können Sie dazu etwas sagen?
Ich denke, es ist die Natur des Menschen, durch eine Reihe von Reisen oder Stufen im Leben zu gehen. Und das bedeutet, das wir uns verändern müssen. Ich persönlich mag das überhaupt nicht und wehre mich ständig dagegen. Aber ich weiß, dass ich mich verändern muss. Und erst wenn ich meinen Widerstand aufgebe, kann ich mich auch verändern.
Ich mag Kammerspiele sehr, also die Konzentration auf wenige Charaktere in einem Raum. Fallen Ihnen irgendwelche Regeln ein, die man beim Schreiben eines Kammerspiels beachten muss?
Schauen Sie sich „Magnolia“ an, dann werden sie ein paar Ideen bekommen. Die Kamera z.B. bewegt sich so fließend und mit einer solchen Geschwindigkeit, dass man sich gar nicht bewusst ist, dass die Charaktere fast immer nur in einem Raum sind. Und Jason Robards Monolog ist zweieinhalb Seiten lang – zweieinhalb! Das ist ein unglaublich langer Monolog. Aber er funktioniert und ist sehr effektiv.
Das Interview fand im Februar 2001 in Berlin statt.
„Filme schreiben“ von Syd Field ist im Europa Verlag erschienen, es hat rund 430 Seiten, ist aktuell aber über den Verlag nicht mehr erhältlich. Bei ZVAB.com kann man das Buch für ca. 25 Euro bestellen.