Was ein Olivenbaum über Tradition, Familie und Kapitalismus erzählt
Als Alma (Anna Castillo) noch ein Kind war, verbrachte sie viel Zeit mit ihrem Großvater (Manuel Cucala). Gemeinsam besuchten sie oft den uralten Olivenbaum in der Nähe ihres Anwesens. Doch Almas Vater hat vor Jahren gegen den Willen des Opas den geliebten Baum verkauft. Mit dem Geld wurde der Bürgermeister bestochen, damit die Familie ein Restaurant am Strand bauen durfte. Der Erfolg blieb jedoch aus. Und für Alma gibt es nur noch einen Weg, ihren Opa glücklich zu machen: Sie muss den Baum zurückholen. Doch der steht nun im Gebäude eines Düsseldorfer Energiekonzerns – als Symbol für Nachhaltigkeit. Der Film „Der Olivenbaum – El Olivio“ der spanischen Filmemacherin Icíar Bollaín kommt am 25. August in die Kinos.

„El Olivo“, ein 2.000 Jahre alter Olivenbaum wird in Spanien beschnitten und nach Deutschland transportiert, um als Dekoration für Nachhaltigkeit zu werben. Foto: Piffl Medien, Filmverleih
Bernd Sobolla: Icíar Bollaín, “El Olivo – Der Olivenbaum” handelt vom Umgang der Menschen mit der Natur, es geht um Nachhaltigkeit. Aber ebenso kann man den Film als Familiengeschichte sehen oder als Reflektion über Traditionen. Welcher Aspekt bot die Grundlage für alle anderen Aspekte des Films?

Die spanische Filmemacherin Icíar Bollaín präsentierte „El Olivio“ u.a. in Berlin, wo das Gespräch stattfand.
Icíar Bollaín: Das Drehbuch und die Idee dazu stammen von meinem Partner Paul Laverty. Er hatte einen Zeitungsartikel gelesen, der von einem uralten Baum erzählte, der einfach versetzt wurde. Paul war schockiert darüber, dass ein 2.000 Jahre alter Baum, der von den Römern gepflanzt wurde und um den sich über Generationen hinweg eine Gemeinde gekümmert hatte, plötzlich von jemanden mit viel Geld gekauft und versetzt wird, um als eine Art Dekoration in einem Haus oder Garten zu stehen. Das fühlte sich einfach falsch an. Andererseits sagt das viel über die Zeit aus, in der wir leben. Über den Kapitalismus, den Ausverkauf unseres Erbes, die Krise in Spanien, über den früheren wirtschaftlichen Boom. Paul dachte, dass das eine wunderbar treffende Metapher wäre. Außerdem steht der Olivenbaum symbolisch für den Mittelmeerraum. Ich wiederum wollte unbedingt davon erzählen, was mit Spanien in den letzten Jahren passierte. Das ist natürlich ein riesiges Thema, und ich fragte mich, wie man sich dem nähert. Ich fand es ideal, das Thema aus der Perspektive einer Familie zu erzählen, die einen solchen Baum verkauft. Denn ich wollte die familiären Auswirkungen zeigen. Es ging also darum, all diese Dinge, die ja sehr komplex sind, in einer relativ einfachen Story zu verdichten. Außerdem liebe ich Pauls Art zu erzählen, wie er solche Themen mit einer Mischung aus Humor und Emotionen schildert.
Wir erleben im Film einen Generationenkonflikt in einer Familie. Sehen Sie diesen als Familienkonflikt oder steht er eher für den Zeitgeist, für ein gesellschaftliches Phänomen?
Um eine Geschichte zu erzählen, bedarf es natürlich immer Konflikte. Wenn du den Baum verkaufst, gibt es einen Konflikt und die Geschichte beginnt. Aber bei diesem Konflikt geht es um mehr, es geht um die jüngere Generation in Spanien. Wenn ich an ihrer Stelle wäre, wäre ich sehr wütend. Denn sie erbt ein zerrissenes Land. Wir haben eine enorme Korruption, eine gewaltige ökonomische Krise und einen enormen Vertrauensverlust in die Institutionen – vom Königshaus bis nach unten. Und die jungen Leute haben kaum Hoffnung auf angemessene Jobs. Also da gibt es eine Menge Wut. „Was zum Teufel, habt ihr aus diesem Land gemacht?“ Andererseits muss ich einräumen, dass die Generation, die das verursacht hat, zugleich auch Opfer dieser Situation ist. Denn diese Menschen sind jetzt in ihren 50ern und 60ern und sind ebenso von der Arbeitslosigkeit betroffen. Und sie verlieren immer mehr Arbeitsrechte, für die sie einst gekämpft haben.

Eine Szene aus Almas Kindheit: Das Mädchen sitzt mit seinem Großvater im Schatten des Olivenbaums. Foto: Piffl Medien, Filmverleih
Ein weiterer Aspekt zeigt sich in der Szene, in der die Protagonistin mit ihrem Vater darüber diskutiert, wie es dazu kommen konnte. Und er sagt: „Wir mussten das Kaufangebot annehmen, denn niemand ist mehr bereit, für Qualität (Olivenölqualität) zu bezahlen. Ist in gewisser Weise also die Gesellschaft Schuld an dem Dilemma?
Da kommen viele Dinge zusammen. Es gibt nun einmal viele billige Produkte, die z.B. aus China kommen. Ich weiß nicht, wie das in Deutschland ist, aber in Spanien haben wir uns von Qualitätsprodukten verabschiedet. Viele kaufen einfach das billige Plastikzeug, oft sind sie aus finanziellen Gründen dazu gezwungen. Und darunter leiden viele Industriezweige bzw. die handwerklich geprägte Industrie. Die existiert kaum noch. Das betrifft auch Olivenindustrie. Es gibt einfach zu viel billiges Öl. Ich glaube jedoch, dass es nicht so sehr an der Gesellschaft liegt, sondern am Markt und an dem Wert, den wir Profiten gegenüber Qualitätsprodukten einräumen. Es ist also eine Frage der Mentalität, wie wir Prioritäten setzen. Setzt du deinen persönlichen Vorteil oder auch den der Gesellschaft an erster Stelle? Aber dafür würde ich nicht die Gesellschaft verantwortlich machen, sondern ein System, dass immer aufs Geld setzt und nicht auf das Gute für alle.

Alma (Anna Castillo) rebelliert gegen den Ausverkauf, den ihre Familie beging. Foto: Piffl Medien, Filmverleih
Mich hat auch die Filmmusik von „El Olivo“ fasziniert. In ihr schwingt eine gewisse Melancholie, aber in ihr klingt zugleich auch eine solide Antriebskraft. Wie lief Ihre Zusammenarbeit mit dem Komponisten Pascal Gaigne ab?
Das war ein wunderbarer Prozess, aber auch ein recht schwieriger. Für mich kommt die Musik immer ganz am Ende, wenn der Film bereits geschnitten ist. Denn ich möchte, dass der Komponist den Geist der Geschichte in sich aufnimmt. Dabei soll die Musik nicht etwas betonen, was ohnehin schon da ist, sondern etwas hinzufügen. Und das macht Pascal großartig, wobei er viel experimentiert. Ich sagte ihm: „Wir erzählen eine Geschichte, die fast wie eine Fabel wirkt. Die Musik sollte also einen entsprechenden Charme in sich tragen.“ Er hat dann daran gearbeitet, hat mir viele verschiedene Variationen präsentiert und wir haben uns und dann gemeinsam für eine entschieden. Pascal ist ein Franzose, der seit vielen Jahren in San Sebastian lebt; er ist eine Art musikalischer Magier, der irgendwie immer den Klang des Films findet.

Alma (Anna Castillo) recherchiert in den Geschäftsunterlagen ihrer Familie. Foto: Piffl Medien, Filmverleih
Ihre Protagonistin Alma (Anna Castillo) spielt ihre Rolle mit großer Willenskraft. Nun sind Frauen ohnehin meist recht willensstark. Aber sie ist zugleich von einer inneren Unruhe getrieben. Warum haben Sie sie als junge Frau inszeniert, die mit ihrem ganzen Umfeld auf Kriegsfuß steht?
Alma ist Paul Lavertys Charakter, denn er hat die ganze Geschichte geschrieben und sie dafür erfunden. Sie sagten vorhin, dass dies ein Film über Nachhaltigkeit, Familie und Traditionen sei. Das ist durchaus richtig. Aber „El Olivio“ ist auch ein Film über eine junge Frau, in deren Hintergrund man all die anderen Dinge sieht. Und nicht zuletzt ist der Film ein Roadmovie, an dessen Ende die Protagonisten sich selbst findet. Sie zieht los, ohne einen konkreten Plan. Einfach deshalb, weil sie weiß, dass sie etwas tun muss und nicht tatenlos zusehen darf. Das wirkt vielleicht etwas naiv, aber es ist ihre einzige Möglichkeit, den Lauf der Dinge zu beeinflussen.
Viele Ihrer Filme haben einen politischen Kontext und reflektieren über die Veränderungen in der Gesellschaft. Ich denke da an „Te doy mis ojos – Open my eyes“ oder „In tierra extrana“. Diese Filme erinnern mich zugleich an die Werke von Ken Loach, mit dem Sie als Schauspielerin mehrere Filme drehten. Von welchen Regisseure sind Sie am meisten beeinflusst worden.

Icár Bollaín arbeitete u.a. mit Ken Loach und Victor Erice zusammen.
Da gibt es viele. Ich habe als Schauspielerin angefangen und arbeitete als solche über einen Zeitraum von rund 20 Jahren mit vielen verschiedenen Regisseuren. Darunter waren viele interessante und starke Künstler, z.B. Ken Loach, ein sehr persönlicher Filmemacher mit einem originellen Stil. Er war und ist für mich ein inspirierendes Beispiel. Es war ein großes Glück, mit ihm zusammen zu arbeiten. Auch weil ich durch ihn meinen Partner Paul Laverty gefunden habe, der wiederum seit 20 Jahren die Drehbücher für Ken schreibt. Aber ebenso wichtig war für mich die Arbeit mit dem spanischen Regisseur Victor Erice (“Der Geist des Bienenstocks – El espíritu de la colmena“, „El Sur – The South“ oder „El sol del membrillo“), den ich für einen der bedeutendsten spanischen Filmemacher halte.