Über das innere Ringen eines jeden Mönchs
Filme über Pilgerstätten gibt es viele. Wobei die meisten einem bestimmten Muster folgen: Vom Alltag gezeichnete Menschen sehnen sich nach einer Auszeit, machen sich auf den Weg nach Lourdes, Einsiedeln, Altötting oder auf den Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Auf der Reise reflektieren sie über ihr Leben und warum es nicht so läuft, wie sie es sich die Menschen wünschen. Schließlich erreichen sie ihren Sehnsuchtsort und erlangen zwar nicht die Erlösung, aber doch etwas Ausgeglichenheit. Dass man einen Film über spirituell Suchende auch ganz anders machen kann, beweisen die Filmemacher Peter Bardehle und Andreas Martin. Wobei sich der Ort, nämlich die griechische Halbinsel Athos, von allen anderen Pilgerorten fundamental unterscheidet. Über 2000 Mönche leben in der einzigen Mönchsrepublik der Welt. Wobei der Name Athos sowohl für die Insel als auch den Heiligen Berg steht. Allein männlichen Pilgerreisenden stehen die Pforten zu dem religiösen Mikrokosmos offen. Allerdings benötigen auch sie ein Visum und dürfen ausschließlich mit dem Schiff anreisen. „Athos – Im Jenseits dieser Welt“ heißt der Dokumentarfilm, der gerade als DVD erschienen ist.
Bernd Sobolla: Peter Bardehle, es ist äußerst schwierig auf die Insel Athos zu kommen, wenn man kein Mönch ist. Noch viel schwieriger muss es sein, eine Drehgenehmigung für die Insel zu bekommen?
Peter Bardehle: So weiß ich weiß, hat die BBC vor acht oder neun Jahren eine Drehgenehmigung beantragt und diese wurde noch immer nicht bewilligt. Eigentlich ist es fast unmöglich, eine Drehgenehmigung zu erhalten. Aber das alte Byzanz hat auch byzantinische Wege. Damit meine ich nicht, dass wir krumme Wege gelaufen sind, sondern dass man sich herantasten muss und nicht einfach einen Brief an irgendeinen hohen Würdenträger schickt. Das reicht nicht. Man muss sich über das Vertrauen der Mönche herantasten. Wenn die einem vertrauen, übernehmen jene auch das Risiko, mit ihnen zu drehen.

Der Hamburger Filmemacher Peter Bardehle.
Als uns Bartholomäus I. den Segen erteilte…
Hatten Sie einen Ansprechpartner in Deutschland?
Unsere Kontakte liefen auf verschiedenen Wegen, und sie mündeten am Ende bei einem Besuch des Ökumenischen Patriarchen, Bartholomäus I, dem Oberhaupt der Orthodoxen Kirche. Er ist zugleich der Bischof von Konstantinopel, also Istanbul. Als er uns seinen Segen erteilte, da wusste ich, dass ich diesen Film machen kann.
Wie sah Ihre Vorbereitung aus?
Ich selbst war schon in diversen Klöstern, katholischen Klöstern und orthodoxen Klöstern. Aber es ist immer etwas anderes, wenn sie irgendwo in der „normalen“ Welt ein Kloster besuchen. Am Ende gehen sie wieder raus und sie sind wieder in der Außenwelt. In Athos ist das ganz anders: Wenn sie da raus gehen, kommen sie gleich ins nächste Kloster, ins nächste Kloster usw. Und das geht so über 40 Kilometer. Die Menschen verändern sich durch die andere Lebensweise dort, und das bekommen sie sofort mit. Das hat mich sehr fasziniert.
Der Berg Athos hat etwas Ikonisches
Ich war erstaunt, dass Sie gleich am Anfang des Films den Berg auf der Inselspitze zeigen. So schön diese Aufnahmen sind, ich hätte sie quasi als Höhepunkt am Ende des Films erwartet?
In gewisser Weise ist der Weg da hoch das Ziel, weil uns der Weinmönch, Epiphanios, auch sehr viel von seinen Wanderungen erzählt. Wie er auf den Berg hoch gewandert ist und was das für ihn auch symbolisch bedeutet. Also der Berg steht schon im Zentrum des Films. Und ich finde, wenn man so etwas Ikonisches hat wie den Berg Athos, kann man ihn nicht nur aus der Entfernung zeigen.
Wie reagierten die Mönche auf Ihr Filmteam?
Das war am Anfang sehr schwer. Es gibt einige wenige Mönche, die sind es gewohnt, Kontakt mit der Außenwelt zu haben. Die freuen sich auch darüber, die sind von ihrem Naturell her so, dass sie sehr offen sind. Aber die überwiegende Mehrheit ist doch eher reserviert, und einige zeigten sich auch sehr ablehnend.
Haben Sie sich als Störenfried empfunden?
Eigentlich nicht. Wir sind auch immer sehr freundlich auf die Mönche zugegangen.
Warum haben Sie sich auf die Mönche konzentriert, die meist allein in den Klausen leben?
Das war eine bewusste Entscheidung. Es war von Anfang an unser Ziel, alle Klostergemeinschaften abzubilden. Wenn man eine umfassende Geschichte über den Athos machen will, gehört es dazu, die Ikonenmalerei und Gemäldeherstellung zu zeigen. Aber wir haben gesagt: Für uns ist das Entscheidende, die Essenz des Athos. Und die habe ich mehr in den kleinen Gemeinschaften gefunden. Dort ist das wirklich sehr lebendig, dieses innere Ringen eines jeden Mönchs mit sich selbst, mit seinem Egoismus, mit seinen Leidenschaften. Das ist viel präsenter als in einem organisierten großen Kloster.

Peter Bardehle präsentiert „Athos – Im Jenseits dieser Welt“ u. a. im Hamburger Abaton-Kino.
Sie haben kein Interview mit großen Geistlichen geführt?
Nein. Aber den gibt es auch nicht, den großen geistigen Führer. Der Abt des einen Klosters sieht sich als Träger, der des anderen aber auch. Also da wären wir schnell auf eine schiefe Ebene gekommen. Wir sind, wie Saint-Exupéry mal sagte, unserem Herzen gefolgt und haben das, was uns selbst als bedeutsam und wichtig erschien, ins Zentrum gesetzt. Das waren die einfachen, kleinen Mönche, weil die für sich etwas Athos-Symbolisches haben, das ich sofort verstanden habe.
Es gar nur Schwierigkeiten
Was waren für Sie die größten Schwierigkeiten?
Die ganze Zeit beim Drehen gab es eigentlich nur Schwierigkeiten. Das beginnt damit, dass sie sich um 10.00 Uhr zum Dreh mit einem Mönch verabreden und den ganzen Tag da sein wollen. Und nach einer Stunde hat der keine Lust mehr, weil er an seiner Ikone weiter malen will. Er versteht zwar, dass sie drehen wollen, aber es ist ihm egal. Dann bleibt ihnen nichts übrig, als die restlichen sieben Stunden rumzusitzen. Es ist extrem schwierig, sich auf diese Taktung einzulassen. Man muss da ziemlich zurücktreten und sagen: „Okay, das ist halt jetzt so.“
Und was war für Sie die größte Überraschung?
Die größte Überraschung war, dass ich vom Patriarchen in diesem Jahr eine Osterkarte bekommen habe. Dass er auf einen kleinen Protestanten wie mich nicht herabschaut, sondern sich freut, dass jemand so einen Film gemacht hat.
Haben Sie den Film auch den Mönchen präsentiert?
Ja, ich habe ihn den Mönchsgemeinschaften vorgeführt, weil mir das auch wichtig war. Den Mönchen selbst war das aber nicht so wichtig. Einige kamen in den Mönchsgemeinsachten nicht zur Vorführung, weil sie Wichtigeres zu tun hatten: Die arbeiteten lieber im Gemüsegarten oder malten an ihren Ikonen. Also die ticken wirklich anders. Das ist aber auch sehr schön.
Pfarrer Martinos unterstützte das Filmprojekt. Er ist Pfarrer in Regensburg und besuchte bereits über 100 Mal den Athos.
Bernd Sobolla: Pfarrer Martinos, können Sie bitte die Bedeutung des Athos beschreiben?
Pfarrer Martinos: Der Athos hat sicherlich eine besondere Stellung innerhalb der Orthodoxie. Grundsätzlich gilt für die Mönche: Das Kloster und die Bruderschaft, in der man Mönch wird, wird auch als Kloster oder Kirche der Buße bezeichnet. Und jeder, der auf dem Athos Mönch wird, weiß, dass er dort, wo er Mönch geworden ist, immer Zuflucht finden kann. Die Lebenswege verlaufen in der Regel nicht gerade.
Man muss für die Einsamkeit auch berufen sein

Unterstützte das Filmprojekt maßgeblich: Pfarrer Martinos.
Bernd Sobolla: Im Film sieht man u.a. einen Mönch, bei dem ich den Eindruck hatte, dass er fast depressiv wirkt.
Pfarrer Martinos: Der Mönch, von dem sie sprechen, kam ursprünglich vom Sinai. Man muss für die Einsamkeit auch berufen sein. Manche können in der Gemeinschaft nicht leben, wollen lieber allein sein. Aber auch das muss gelernt sein. Ich kenne Beispiele von Mönchen, die Jahre gekämpft haben, um das isolierte Leben wirklich praktizieren zu können: Im Winter keine Heizung, im Sommer schwitzt man, dann die Einsamkeit: Tagelang begegnet man keinem Menschen. Das muss man lernen, das braucht Zeit, und es gibt auch Rückschläge.
Das Besondere ist nicht der Berg, sondern die Menschen um ihn herum
Werden Mönche vom Athos aus auch in die Welt geschickt?
Martinos: Es gibt bei uns in der Orthodoxie keine Orden. Ein Mönch ist einfach einer, der diese Lebensweise wählt und sich dann einem geistlichen Vater anschließt. Der mag Abt sein, der mag Vorsteher einer Mönchsfamilie sein. Ihm ist er gehorsam und bei ihm bleibt er, solange bis sein geistlicher Vater stirbt. Dann ist der Mönch frei, sich einen andern Platz zu suchen. Man ist nicht an ein Haus gebunden, sondern an eine Person. Ich gehorche jemandem und gehe mit ihm gemeinsam einen geistigen Weg. Aber es gibt keinen Orden, der über einen verfügen kann oder irgendwohin schickt. Die Besonderheit des Athos ist übrigens nicht der Berg Athos selbst, sondern die vielen Mönche, die über Jahrhunderte hinweg in den 20 Groß-Klöstern und Einsiedeleien gelebt haben. Der Berg an sich ist natürlich optischer Bezugspunkt und hat natürlich eine kleine Kapelle oben drauf, in der einmal im Jahr groß gefeiert wird. Am 6. August zur Verklärung des Herrn. Aber das Besondere ist nicht der Berg, sondern die Menschen um den Berg herum.
Wie kann man als Pilger auf die Insel kommen?
Die Gastfreundschaft bei den Griechen ist sprichwörtlich. Das gilt auch für den Athos. Dass es gewisse Grenzen geben muss, damit die Insel nicht überflutet wird, kann man verstehen. Es gibt Möglichkeiten, jederzeit auf den Athos zu kommen. Entweder in normalen Kontingenten oder über das Außenministerium von Griechenland, mit Einladungen von Priestern oder Mönchen.