„Das, was wir ‚öffentliche Meinung’ nennen, fällt nicht vom Himmel: Sie wird erzählt, gemacht, geändert – bis sie passt.“

Florian David Fitz als Journalist Fabian Groys in „Die Lügen der Sieger“. (photo: Heimatfilm GmbH&Co.KG /NFP)
Auch wenn Christian Petzold als der bekannteste Filmemacher der Berliner Schule gilt, so ist Christoph Hochhäusler wahrscheinlich der wichtigste: Er war es, der 1998 das Filmmagazin „Revolver“ mitbegründete und dort den wohl wichtigsten Text zum zeitgenössischen Kino („Kino muss gefährlich sein“) veröffentlichte, der die Berliner Schule in Cannes publik machen wollte, den besten Film zu „Deutschland 09“ beisteuerte und spätestens mit seinem neuen Film „Die Lügen der Sieger“ all den Dingen „Lebe wohl!“ sagt, die man mit der Berliner Schule verbindet. In seinem Polit-Thriller beleuchtet Christoph Hochhäusler den Lobbyismus in der deutschen Politik und damit die Manipulation von Medien.
Fabian Groys (Florian David Fitz) ist ein renommierter Journalist in der Hauptstadtredaktion eines politischen Nachrichtenmagazins. Gemeinsam mit der Praktikantin Nadja (Lilith Stangenberg) recherchiert er eine brisante Story über die zweifelhafte Invalidenpolitik der Bundeswehr. Als sein Informant abspringt, schwenkt Groys auf einen Giftmüllskandal um. Dann mehren sich Anzeichen, dass beide Geschichten zusammenhängen, und die Story nimmt Fahrt auf.
Bernd Sobolla: Christoph, laut Süddeutscher Zeitung gibt es im Jahr 2015 über 2.200 Lobbyistengruppen (mit einem Hausausweis für den Bundestag) in Berlin. Ist das eine Überraschung für dich?
Christoph Hochhäusler: Sagen wir so: Mit der Berliner Republik hat sich die ganze Beeinflussungsarbeit verändert. Was vorher sehr stark in den Händen von Verbänden war, wird jetzt sehr viel vereinzelter gemacht. Sprich: Viel mehr Großunternehmen leisten sich ihre eigenen Lobbys. Und dann gibt es noch Zusammenschlüsse von verschiedenen Interessensgruppen, die auch wiederum Lobbys haben. Der ganze Comment, wie man sich Einfluss oder Gehör verschafft in der Politik, hat sich verändert mit der Berliner Republik.
Ich war schockiert, als ich erfahren habe, dass die deutsche Apotheker-Lobby (der Apotheker-Verband) die gesamte digitale Kommunikation des Bundesministeriums für Gesundheit abgefangen hat. Die lasen die Entwürfe neuer Gesetze, noch bevor der Minister sie in der Hand hatte. War das mit ein Auslöser für den Film?
Als das herauskam, war das Drehbuch zum Film schon geschrieben. Aber in diesen Schreibprozess sind viele Dinge eingeflossen, die tatsächlich passiert sind. Denn eines dieser Dinge war z.B., was nicht direkt mit Lobbyismus zu tun hat, der Envio Skandal, der mich sehr empört hat. Wo sehr stark PCB verseuchte Generatoren ohne ausreichenden Arbeitsschutz recycelt wurden, die Arbeiter dann ohne jede Ahnung ihre Kleidung nach Hause brachten, diese dann zusammen mit der Familienwäsche gewaschen wurde und ihre Familienmitglieder verseuchten. Der Konzern wurde im Grunde nur abgewickelt, die Prozesse laufen ja noch zum Teil. Aber es gibt keine wirkliche Entsprechung auf diese schrecklichen Ereignisse. Wie die Industrie darauf reagierte, war zum Teil schon infam. Den ehemaligen Mitarbeitern von Envio wurde dann gesagt: „Ihr habt geraucht! Vielleicht kommt die Erkrankung auch daher.“
Das ist aber nur ein Bespiel unter vielen, oder?
Natürlich. Ein anderes Beispiel, was mich überrascht und auch erschreckt hat, war die sogenannte Lobby-Schlacht um das Gefahrenstoffabkommen REACH. Da hat in einem Jahr allein die deutsche chemische Industrie eine Milliarde ausgegeben, um Lobby zu machen. Mit einer Milliarde kann man ganz schön viel machen. Was man da z.B. machen kann, das erfährt man aus dem Papier (aus einem anderen Kontext, das der Taz geleakt wurde und in der Taz erschienen ist) der Atomindustrie, die so eine Art Kampagne gefahren hat zum Ausstieg aus dem Ausstieg. Das war vor Fukuchima. Die haben da sehr viel Geld ausgeben – aber bei Weitem keine Milliarde, um den Wandel gesellschaftlich vorzubereiten. Und da sah man ganz schön, wie das heute funktioniert. Was es für eine Bandbreite an Beeinflussungsmitteln gibt. Also von Anzeigen, ganz klassisch, bis hin zu Veranstaltungen mit irgendwelchen Nobelpreisträgern, die sich gar nicht mehr so ohne Weiteres identifizieren lassen als Teil dieser Kampagne. Bis hin zu Förderungen von Grass Routes Organisationen, z.B. hat man Vereine gefördert, „Women in Nuclear“, also Frauen, die in der Nuklear-Industrie arbeiten, weil man herausgefunden hat, dass sich die Meinung in Haushalten besser beeinflussen lässt, wenn die Probleme von Frauen vorgetragen werden. Gerade wenn es um Technik geht. Also Frauen wurden identifiziert als diejenigen, die für eine Meinungsänderung in einem Haushalt entscheidend sind…
Wie wird man hierzulande zum Lobbyisten? (In den USA spricht man z.B. von einer Drehtür Politik-Ölindustrie)
Genau genommen kommt im Film überhaupt kein Lobbyist vor, sondern es gibt Kommunikationsexperten und Industrielle usw. Lobbyismus würde ja heißen, jedenfalls nach der klassischen Vorstellung, dass man fest für ein Unternehmen oder eine bestimmte Interessensgruppe arbeitet und auch identifizierbar als ein solcher Interessensvertreter arbeitet. In diesem Sinne gibt es keine Lobbyisten, denn diese Agentur, die da Probleme löst, die würde für jedermann Probleme lösen, wenn sie den Auftrag bekäme. Also ob die Grünen die Auftraggeber sind, ob das Greenpeace ist oder die Atomindustrie macht für die keinen Unterschied. Es geht einfach nur um ein kommunikatives Problem, das gelöst werden muss.
Du bist einer der wenigen Filmemacher, der sich mit aktueller deutscher Politik auseinandersetzt. Vermisst du das bei deinen Kollegen?
Absolut. Das Kino muss Auskunft darüber geben, was gerade wichtig ist. Wo wir stehen. Was macht Deutschland eigentlich gerade? Was ist das mit dieser Austeritätspolitik z.B.? Was ist mit dieser neuen deutschen Macht? Und da Deutsche Kino ist seltsam apathisch und bleibt in so einem privaten Rahmen gefangen. Und den, finde ich, muss man sprengen können.