„Frauen bedeuten etwas für mich, was ich in Männern nicht sehe“
Der deutsche Filmemacher PercyAdlon, der seit 1989 hauptsächlich in Los Angeles lebt, ist in diesem Jahr in aller Munde: Der Autorenregisseur, dem wir Werke wie „Zuckerbaby“, „Out of Rosenheim“ oder „Mahler auf der Couch“ verdanken, feierte am 1. Juni seinen 80. Geburtstag, Ende Oktober hat er der Akademie der Künste in Berlin sein Archiv übergeben, und das Berliner Zeughauskino widmete ihm zu diesem Anlass eine Filmreihe. Darüber hinaus ist gerade die „PercyAdlon DVD-Box“ bei Studiocanal erschienen. Eine Auswahl von 20 Spiel- und Dokumentarfilmen aus einer rund 40-jährigen Schaffensperiode, darunter auch der Dokumentarfilm „In der glanzvollen Welt des HotelAdlon“, den Percy Adlon seinem Vater Louis Adlon widmete, dem Sohn des legendären Hotelgründers.
Bernd Sobolla: Herr Adlon, Sie haben ursprünglich Kunstgeschichte und Theater-wissenschaft studiert und Schauspiel- und Gesangsunterricht genommen. Wann entwickelte sich bei Ihnen der Wunsch, Regisseur zu werden?
Percy Adlon: Ich war fünf Jahre an einer wunderbaren Schule, nämlich das humanistische Gymnasium Stein an der Traun, im Chiemgau in Bayern. Als ich 15 Jahre alt war, fuhren wir eines Tages nach München, um Minna von Barnhelm zu sehen. Das gehörte zum Lehrplan. Es handelte sich um eine Kortner-Inszenierung; und das hat mich so fasziniert, dass ich mir sagte: „Das mache in Stein mit den Schülern auch!“ Ich spielte dann den Just, eine Charakterrolle, und wir gewannen mit der Inszenierung die sogenannte Heim-Olympiade. Ein Jahr später war ein französisches Theater im Residenztheater in München zu Gast, und Gérald Philipe spielte den Prinz von Homburg. Daraufhin war Gérard Philipe mein großes Vorbild. Und so entwickelte sich das weiter. Ich studierte dann in München Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft, nahm Schauspielunterricht, und mein Vater, der ein berühmter Sänger war, gab mir Gesangsunterricht. Ich wurde dann Schauspieler, weil ich die Regie als etwas sah, von dem ich nicht wusste, wie man da rankommen sollte. Ich war viel zu jung, und ich hatte große Lust auf die Bühne. Ich glaubte, als Schauspieler sei man ganz direkt dran, denn man steht auf der Bühne. Auch war die Schauspielerei für mich weniger intellektuell, es hatte mehr mit Gefühl zu tun. Nur als ich dann Schauspieler war, war es eben nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Jeden Abend vor dem Spiegel sitzen und sich schminken… Da merkte ich, wie Vorstellung und Wirklichkeit ziemlich auseinander klafften.
Als ich dann zum Intendanten in Aachen sagte: „Nächstes Jahr möchte ich gerne Regie machen“, meinte er nur: „Na ja, Junge. Da lassen wir uns noch ein paar Jahre Zeit.“ Daraufhin kündigte ich und ging als Freier nach München. Inzwischen war ich verheiratet mit einer Tänzerin, die noch heute meine geliebte Frau ist. Als ich dann in München war, hatte ich zunächst das Gefühl, ich hätte das Ding an die Wand gefahren. Da gab es 20.000 arbeitslose Schauspieler, die alle synchronisieren wollten und ich mitten unter ihnen. Dann ging ich zu einem Vorsprechen zum Bayerischen Rundfunk, und die engagierten mich. Alles entwickelte sich sehr schnell. Ich nannte den BR mein Kloster, weil ich da allein vor dem Mikrophon saß und meine Bilder herstellen konnte. Ich kam nämlich sehr schnell als Sprecher in die literarische Abteilung. Ich las dann 12 Jahre lang Literatur: von Meister Eckehardt bis Thomas Bernhard, von Cervantes bis Flaubert. Und das Ganze mit großer Lust und großer Befriedigung und für gutes Geld. Damit baute ich unser Haus. Dann fing ich an, Hörbilder zu machen, also selber Autor zu sein. Und schließlich folgte der Wechsel zum Fernsehen: Dort war ich Sprecher für die Münchener Abendschau und kannte bald alle Redakteure. 1969 frage ich, ob ich ein Portrait über die Schriftstellerin Annette Kolb machen könnte, die bald ihren 100. Geburtstag hatte. Die Idee wurde angenommen, und nach der Ausstrahlung kam Heinz Burkhard, der Chef der Abendschau, zu mir und meinte: „Meine Kollegen sagen, Sie haben eine Handschrift. Und das glaube ich auch.“ Damit war ich Filmemacher.
In Ihren Portraits fällt auf, dass Sie den Künstlern sehr nahe kommen. Das gilt zum Beispiel für den Illustrator Tomi Ungerer. Wie gehen Sie dabei vor?
Wir schauen uns einfach an: Ich dirigiere nicht, ich mache keine Regie, sondern ich lasse die Dinge sich entfalten. Beim Tomi war es sogar so, dass ich ihn beim Zeichnen beobachte und plötzlich drehte er sich zu mir um und sagte: „Frage mich doch endlich was!“ Und genau das, wolle ich nicht tun. Vielmehr sagte ich zu meinen „Opfern“ immer: Wenn Du was sagen willst, oder wenn Sie was sagen wollen, dann sagen Sie es! Drehen Sie sich zur Kamera, drehen Sie sich zu mir und erzählen Sie. Das erinnert an Tierfilme, in denen man etwas beobachte und das, was sich ereignet, wirkt sich dann günstig auf die Leute aus, die man portraitiert. Denn die Leute fühlen sich nicht eingeengt oder bevormundet. Sie sind einfach Sie selbst. Und mit dieser Maxime ist mir vieles geglückt. Später, als ich dann Spielfilme drehte, hatte ich immer das Gefühl zur Hälfte Dokumentarfilmer zu sein. Und nur zur anderen Hälfte bin ich Filmregisseur, der ein Konzept hat, der etwas designt, Farben, Rhythmen, Bewegungen bestimmt. Aber immer wieder, und das sind eigentlich oft besonders starke Momente, kommt der Dokumentarfilmer zu Wort. Zum Beispiel am Ende von „Out of Rosenheim“. Da kommt Jack Palance aus dem Silbertrailer raus, und dann bläst ihn der Sturm der Liebe rüber zu dem Motel, wo Jasmin vielleicht auf ihn wartet. Und er macht ihr einen Heiratsantrag. Diesen Sturm hat es im Drehbuch nicht gegeben. Aber als wir früh morgens zum Drehort kamen, stürmte es wahnsinnig, und das Team sagte: „Nein, Percy, heute wird es wahrscheinlich nichts!“ Plötzlich dämmert es mir, dass das ja ideal für die Szene ist. Es war ein rein dokumentarischer Moment. Wo ich sofort merkte: Es ist ein Liebessturm, der ihr den Jack Palance in ihre Arme treibt. Und so gab es immer wieder Elemente des Dokumentarischen auch in meinen Spielfilmen.
1982 drehten Sie das Kammerspiel „Fünf letzte Tage – Sophie Scholl“ mit Lena Stolze und Irm Hermann. Unmittelbar zuvor hatte Michael Verhoeven „Die weiße Rose“ gedreht, ebenfalls mit Lena Stolze als Sophie Scholl. Das kann doch kein Zufall sein, oder?
Ich hatte eine sehr dezidierte Idee von dem, was ich da machte. Ich wollte nämlich eigentlich keinen Spielfilm machen, sondern ein filmisches Gedicht, weil das Thema so entsetzlich für mich war. Meine Tochter war zu der Zeit genau so alt wie Sophie Scholl (Lena Stolze), als sie ermordet bzw. hingerichtet wurde. Ich wollte sogar Abstand von dem Projekt nehmen. Aber dann entdeckte ich, dass es diese Zellengenossin (gespielt von Irm Hermann) gab, die über die fünf letzten Tage von Sophie Scholl berichtete. Und dann erzählte ich die Geschichte aus ihrer Sicht.
Warum wählten Sie Lena Stolze für die Rolle der Sophie Scholl aus?
Ich sah irgendein Foto von Lena Stolze im Pressematerial von „Die weiße Rose“. Daraufhin entschloss ich mich, dieselbe Darstellerin zu nehmen, um das Theatralische noch niedriger zu halten, um zu sagen: Das ist unser Gesicht für Sophie Scholl! Als ich mit ihr telefonierte, sagte sie dann: „Sophie Scholl habe ich doch gerade gespielt.“ „Ja, gerade deshalb“, antwortete ich. Sie hat uns dann alle sehr bewegt.

Lena Stolz (lks.) und Irm Hermann waren Zellengenossinnen in „Fünf letzte Tage“ (photo: Bernd Sobolla)
Ihren Durchbruch als Spielfilmregisseur hatten Sie dann mit „Zuckerbaby“ (1985). Die Story handelt von einer Frau, die in einem Münchener Bestattungsinstitut arbeitet und sich in einen U-Bahnfahrer verliebt. Klingt eigentlich eher nach einer Geschichte, die in Berlin spielen könnte. Wie sind Sie darauf gekommen?
Die Frau meines Standfotografen hatte mir erzählt, dass eine Putzfrau aus dem unteren Stockwerk, die immer so pünktlich war, plötzlich oft zu spät kam. Sie hatte sich nämlich in einen Trambahnfahrer verliebt und fuhr immer bis zur Endstation mit und legte ihm Schokoladenherzen auf den Sitz, wenn er seine Pause machte. Bis sie ihn eines Tages im Bett hatte. Aus dieser Minigeschichte machte ich „Zuckerbaby“. Die Geschichte hatte aber noch einen anderen Hintergrund: Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nur historische Filme gemacht. Einen Film über Robert Walser, einen über Cervantes´ Don Quichote, einen Film über Celeste, die Haushälterin von Marcel Proust sowie die Filme über Sophie Scholl bzw. Annette Kolb, letzter hieß „Die Schaukel“. Und schlagartig empfand ich, dass das nicht so weiter gehen durfte. Dass ich aktuelle Geschichten erzählen wollte. Und die Story mit dem Tramfahrer passte perfekt. Hinzu kam, dass Marianne Sägebrecht bereits zwei kleine Rollen in meinen vorherigen Filmen gespielt hatte. Ich nahm sie als etwas Besonderes wahr; sie hatte etwas „Unschauspielerisches“, was mir sehr gefiel. Also schrieb ich ihr die Rolle auf den Leib.
Auf der Berlinale sind Sie dann aber nicht gleich gelandet?
Jein, der Film wurde von der Wettbewerbskommission abgelehnt. Das war ein Rückschlag. Der Verleih nahm den Film aber mit, um ihn auf dem Berlinale-Markt zu präsentieren. Also fuhr ich mit nach Berlin. Und an einem der ersten Abende, es war sehr kalt und regnete heftig, standen wir durchnässt an dieser kleinen Bar in der Budapester Straße. Und neben mir stand plötzlich Erika Gregor, die Co-Leiterin des Berlinale-Forums, und fragte: „Was machen Sie denn hier? Sie haben doch diesmal keinen Film hier.“ „Doch“, sagte ich, „aber man hat mich nicht gewollt.“ „Ja, was ist das denn für ein Film?“ „Zuckerbaby“.“Klingt lustig. Kann ich ihn sehen?“ „Natürlich, wir haben eine 35mm-Kopie dabei.“ „Okay, schicken Sie sie rüber.“ Ich schickte ihr also die Kopie, und am nächsten Morgen rief sie mich an: „Ich mache den Film zur „Surprise“. Drei Tage später lief „Zuckerbaby“ im Delphi um Mitternacht. Die Reaktionen während des Films waren schon irrsinnig. Und zum Schluss stand alles auf den Sitzen: johlte, brüllte, klatschte. Und Marianne war ein Star.
Dann war das eine ad hoc Entscheidung von Erika Gregor?
Absolut, ihr habe ich das zu verdanken. Wir wurden dann zum New York Filmfestival eingeladen. Es war unser großer Glücksbringer. Und dann fing es richtig an.
Vor allem bei „Zuckerbaby“, – aber später auch bei „Out of Rosenheim“ und „Roselie goes shopping“ – fällt auf, dass es eine sehr auffällige Farbkompositionen gibt und viele schräge Kamerablickwinkel. War das Ihr persönlicher Stil?
Die Farben, muss ich sagen, kamen in erster Linie von Johanna Heer, einer extrem begabten Kamerafrau, die auch als Mensch sehr extrem war. Und die das aus meinen Gefühlen und Wünschen irgendwie herauslas. Ob nun diese Primärfarben oder diese schrägen Winkel irgendwie ungewöhnlich waren, darüber machte ich mir keine Gedanken. Für mich war es ein zeitgenössischer Film, der kräftig genug war, der Pop-Art-mäßig genug war, um diesem Thema, dass sich die Leichenfrau in den U-Bahnfahrer verliebt, weil beide irgendwie Outsider sind, gerecht wurde. Der eine fährt Tag und Nacht durch diese Tunnel, und muss immer damit rechnen, dass sich einer vor die U-Bahn wirft. Und wenn die Leichenfrau in den Supermarkt geht, dann sagt die Verkäuferin zu der anderen: „Wenn die die Butter anfasst, kriege ich eine Gänsehaut.“ Diese Welt der Vorurteile, explodiert plötzlich durch die Liebe und den Mut dieser Frau. Das wollte ich mit diesen Farben und Winkeln darstellen.
Wie erklären Sie sich den Erfolg gerade dieser drei Filme, die Sie auch noch innerhalb von fünf Jahren (1984-1989) drehten?
Das ist schwierig zu analysieren. Ich hatte sehr lange gearbeitet: drei Jahre als Schauspieler, zwölf Jahre als Sprecher, als Reporter, Dokumentarfilmer und dann als Spielfilmregisseur. Und ich konnte sehr viel Lebenserfahrung sammeln. Es war ein Zeitpunkt in meinem Leben, wo ich reif genug war, um meine Begabung voll ausleben zu können, aber noch jung genug war, um die Kraft und den Mut zu haben, solche Dinge zu machen. Bei „Out of Rosenheim“ war es besonders günstig, weil meine Lebenserfahrungen – das sind meditative und musikalische Erfahrungen, aber auch Erfahrungen des Auswählens, was mir gefällt, wo ich hin möchte, was mich interessiert an Schauspielern, an Gesichtern – dazu führte, dass ich in der Lage war, diese Filme zu kreieren. Getragen durch Marianne Sägebrecht, die eine außergewöhnliche Persönlichkeit hat. Es interessierte mich, immer weiter in ihr Wesen einzutauchen.

„Out of Rosenheim“ hieß nur in Deutschland so. Der internationale Titel ist „Bagdad Café“ (photo: Studiocanal)
Wobei Marianne jemand ist, der wahnsinnig gern und viel redet. Darauf reagierte ich, in dem ich ihr z.B. in „Out of Rosenheim“ fast keinen Text schrieb. Weil, wie ich fühlte, bei ihr die Dinge aus den Hautporen kommen. So dass das Publikum sofort versteht, was sie will, was sie fühlt, wie traurig sie ist, wie lustig sie ist. Und das übersetzt sich ohne Sprache weltweit. So kam es, dass die Südamerikaner, die Finnen und die Koreaner, alle rund um den Globus fühlten Mariannes Botschaft: das Aussteigen, die Enge (z.B. einer so schrecklichen Ehe) hinter sich zu lassen und sich zu emanzipieren. Eine Freundin zu finden, auch wenn man hart dafür kämpfen muss. All das machte die Filme dann eben zu Kultfilmen.
Sie sind 1989 in den USA gegangen. Was hat Sie nach Kalifornien gezogen? War München plötzlich zu klein?
Eleonore Adlon produzierte die meisten Filme ihres Mannes. (photo: Bernd Sobolla)
Ich war Mitte 50, und es war kurz nach „Rosalie goes shopping“. Ich muss sagen, dass meine Frau und ich alle Dinge zusammen entscheiden. Wir hatten zuvor ein halbes Jahr in Los Angeles das Drehbuch zu „In der glanzvollen Welt des Hotel Adlon“ geschrieben, der Film erzählt das Leben meines Onkel Luis Adlon. Und in diesen sechs Monaten verknallten wir uns in Los Angeles. Es gab so vieles, was uns gemäß war, was uns Spaß machte. Ich habe z.B. eine extrem empfindliche Nase und habe sehr leicht Heuschnupfen. Das war in München extrem stark. In der kalifornischen Wärme war er weg. Und es gab auch ein Gefühl von Heimat. So kam es, dass wir uns dort niederließen. Mit Film hatte das nicht so viel zu tun. Mit dem großen Hollywood hatte ich nur sehr wenig zu tun und hätte mit den Leuten auch nicht viel zu tun haben wollen. Denn der Autorenfilmer läuft nicht im Takt von Hollywood.
Sie haben einmal gesagt, dass nur Filme, die ohne jedes kommerzielle Interesse entstehen, der Filmindustrie neue Anregungen liefern können. Was meinen Sie damit konkret?
Das war bei einigen unserer Filme so. Da hieß es dann: „Ja, bei Warners wird wieder in der dritten Etage „Zuckerbaby“ gezeigt. Alle wollten dabei sein und haben gesagt: „Oh, they are showing „Zuckerbaby“! Can you come? Can you come? It´s crazy!“ Das meine ich damit. Egal ob Sie Werner Herzog nehmen oder Wim Wenders oder Rainer Werner Fassbinder: das sind Leute, die im Vergleich zu den Mainstream Movies keine großen kommerziellen Erfolge hatten. Aber sie werden überall zitiert, überall gesehen. Sie geben noch Jahre später Anregungen und werden an Universitäten gelehrt. Dazu gehören auch Filme wie „Zuckerbaby“ oder „Out of Rosenheim“. Wir sind sozusagen das kleine Hefeklümpchen, das den riesigen Kuchen aufgehen lässt.
Sie inszenierten 2002 an der Staatsoper Berlin Gaetano Donizettis komische Oper „Der Liebestrank“; und Sie drehten 22 Kurzfilme über die Musik von Richard Strauß. Hat die Musik heute einen größeren Stellenwert in ihrem Leben?
Mein Vater war der Kammersänger Rudolf Laubenthal, der in Berlin zwischen 1913 und 1923 große Karriere als Tenor in der Charlottenburger Oper machte. Und er bekam 1923 einen Zehnjahresvertrag an der Metropolitan. Er und meine Mutter heirateten nie. Musik spielte bei uns immer eine sehr große Rolle. Musik ist in mir drin, und bei meinem Vater hatte ich Gesangsunterricht, in meiner Schule leitete ich Opernabende. Musik hat mich immer umgeben. Wissen Sie, die Musik und die Literatur, das Lesen von Literatur, die Arbeit beim Fernsehen, das Interesse für Bildende Künste, diese verschiedenen Interessen haben sich bei mir zusammen gesetzt zu einem Ganzen, das eben dann zum Filmemachen wurde. Dabei ging es nicht um Regie im engen Sinne, sondern um das Schreiben und Inszenieren als künstlerische Einheit. Ich habe ja nie ein fremdes Drehbuch realisiert.

Johannes Silberschneider spielt den betrogenen Gustav Mahler, der bei Sigmund Freud um Rat fragt. (photo: Studiocanal)
Ihr letzter Film, „Mahler auf der Couch“ (2010), wirkt, als habe ihn ein junger, experimentier-freudiger Regisseur gedreht. Manchmal sprechen die Schauspieler direkt in die Kamera, das Werk erinnert an eine Mischung aus Ehedrama und Farce, und dann wieder gibt es dokumentarische Momente. Ist das die „künstlerische Einheit“, von der Sie sprechen?
Ähnliches kommt bei vielen meiner Filme vor. Drehen bedeutet für mich, in einer offenen Landschaft zu sein, wo man nicht unbedingt nach dem Drehbuch gehen muss. Natürlich stehen diese Dinge bei „Mahler auf der Couch“ auch im Drehbuch. Aber ich mag es gerne, auszusteigen und das Publikum direkt ansprechen. Das ist ein Stilmittel, das mir sehr gefällt und das bei „Mahler“ zur humorvollen Seite des Films beiträgt. Jeder denkt: Alma und Mahler, das ist doch alles furchtbar melodramatisch usw. Mein Sohn und ich fanden immer wieder Stellen, wo wir beim Schreiben viel lachen mussten und beschlossen: „Das ist genau der Punkt, den man verstärken muss. Hier muss mehr Humor rein!“ Denn der Mahler war beim Komponieren und Schreiben so verkniffen und besessen, dass man nur ein bisschen an der Schraube drehen musste und dann fing man an zu lachen.
Der Titel „Mahler auf der Couch“ täuscht ein bisschen, finde ich. Für mich geht es nur in zweiter Linie um den Musiker Gustav Mahler und Sigmund Freud, es ist viel mehr ein Film über Alma Mahler. Und wenn es eine großes verbindendes Element in Ihren Spielfilmen gibt, dann die Tatsache, dass Sie eigentlich immer Filme über Frau gedreht haben.
Mein wunderbarer Regisseur im Funk, der nannte mich spaßeshalber den Damen-Imitator. Weil ich besonders gut Frauendialoge sprach. Ich weiß, dass ich mich besonders gut in Frauen hinein versetzen kann. Ich wuchs im Krieg auf, die meisten Männer waren im Feld oder sehr alt. Und ich war auf dem Land von Frauen umgeben. Es waren meist junge Frauen, die Bauernhöfe und Betrieb am Laufen hielten. Ich lebte ungeheuer gern mit ihnen. Es ist noch heute so, dass Frauen für mich etwas bedeuten, was ich in Männer nicht sehe: Sie verbinden Pragmatismus, Wärme und Lebensklugheit auf wunderbare Weise. Ich vertraue Frauen und verstehe was von Frauen (lacht) und habe einfach gerne Frauenrollen geschrieben. Da bin ich auch sehr stolz drauf.
Zurück zu „Mahler auf der Couch“: Alma Mahler opferte ihre eigene Karriere für ihren Mann, hatte aber zugleich zahlreiche Affären mit den Genies dieser Zeit: Gropius, Werfel, Kokoschka… Was hat Sie am meisten interessiert?
Mich hat Alma interessiert und Mahlers Musik. Mahler schrieb während dieser Ehekrise einen Satz oder versucht ihn zu schreiben, in seiner 10. Symphonie, die unvollendet blieb. Dieser eine Satz beinhaltet ein riesen Drama. Wir erzählten einerseits die Geschichte visuell und andererseits in Tönen. Der Satz ist der erste Satz seiner zehnten Symphonie, die er nicht zu Ende schrieb. Und das ist ein Adagio. Dieses Adagio ist eine ungeheure Komposition, die sehr weit in die Moderne reicht. Man muss sich das vorstellen: 1910 fliegt der Deckel vom Dampftopf. Auf der ganzen Welt herrschte die Moderne: Picasso, Brack, Munch und Frank Lloyd Wright in Amerika. Mahler gehörte eigentlich noch zur deutschen Romantik. Aber das Neue reizte ihn immer. Und in diesem Musikstück beschreibt er seine ganze Seelenqual.
Ihre DVD-Box hat ein ungewöhnliches Konzept. Sie besteht aus zehn Dokumentarfilmen und zehn Spielfilmen. Wobei jeweils zwei von ihnen auf einer DVD vereinigt sind. Können Sie das erläutern?
Das ist etwas wirklich Innovatives. Ich habe das Gefühl, dass meine Spielfilme und meine Dokumentarfilme eine Einheit bilden, dass sie aus einem Kopf und einem Herzen kommen, aber auch stilistisch sehr viel von einander haben. Zu einer Retrospektive im letzten Jahr im Münchener Filmmuseum fing ich an, Paare zusammenzustellen. Und in dieser Box sind 10 solcher Paare. Ich möchte alle einladen zu einer Vorspeise, einer Dokumentation, und zu einem Hauptgericht, einem Spielfilm. Die Paare haben immer etwas miteinander zu tun: Da kommt zuerst „Im Haus des Affenmalers“ und dann „Celeste“, die spielen beide in sehr merkwürdigen Innenräumen. Dann die Dokumentation über den Tänzer Heinz Bosel, der mit 25 Jahren an Krebs starb, und Sophie Scholl mit ihrem frühen Tod. „Zuckerbaby“ ist mit der „Bilek“ vereinigt. Franziska Bilek veröffentlichte jeden Tag in der Münchener Abendzeitung eine Zeichnung. Es handelt sich um zwei Münchner Frauen. Die eine ist gefunden und die andere ist erfunden. Alle Kombinationen haben einen Zusammenhang. Und wenn man die zusammen sieht, dann erlebt man einfach etwas Schönes, etwas Positives, was einem zu Herzen geht und Freude macht. Und darum geht es mir in meinen Filmen.