Michael Appel – „Die letzte Nacht der Monarchie“

 Buchneuerscheinung:

„Die letzte Nacht der Monarchie – Wie Revolution und Räterepublik in München Adolf Hitler hervorbrachten“

 

„Die Nachbeben sind noch immer zu spüren“

Am 7. November 1918 wurde in Bayern König Ludwig III. gestürzt und mit ihm endete die Dynastie der Wittelsbacher. Unmittelbar danach dankten auch die anderen deutschen Fürstenhäuser ab. In diesem Sinne begann die Deutsche Revolution von 1918 in München, noch bevor Philipp Scheidemann am 9. November in Berlin die Republik ausrief. Michael Appel widmet dieser wichtigen Epoche, deren 100. Jahrestag wir bald begehen, ein Buch mit dem Titel: „Die letzte Nacht der Monarchie – Wie Revolution und Räterepublik in München Adolf Hitler hervorbrachten“. Dabei widmet er besonders dem Revolutionär und ersten Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern viel Platz, Kurt Eisner. Eisner hatte bis 1917 der SPD angehört, ehe er in Bayern deren linken Ableger, die USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei), gründete. Aber vor allem schildert Appel den Ausgangspunkt eines politischen Dramas anhand von Erinnerungen und Tagebücher verschiedener Zeitgenossen.

 

Bernd Sobolla: Herr Appel, was war der Auslöser für Ihre Arbeit an dem Buch? War es einfach der 100. Jahrestag der Deutschen Revolution oder ging es Ihnen um andere Dinge?

Dr. Michael Appel: Die Revolution ist ein Stück meines Lebens. Ich kann mich noch erinnern, da war ich zwölf Jahre alt, saß vor dem Radio und hörte ein Feature über die Revolution. Das hat mich sehr beeindruckt. Und später habe ich auch eine Magisterarbeit über die Zeit danach geschrieben. Denn in die Weimarer Republik haben die Ereignisse der Revolution kräftig hineingespielt. Was mich aber wirklich angetrieben hat, war ein Gespräch, das ich 2010 mit einem Historiker für Bayerische Geschichte führte. Darin  ging es eigentlich um die Geschichte Münchens im 20. Jahrhundert. Aber wir kamen nie über die Revolution hinaus. Denn der Mann konnte noch alle Verdammungsurteile, die bayerische Historiker geschrieben hatten, auswendig. Und er war selbst noch ganz erschüttert, dass der, wie er meinte, vorzeigbare und attraktive Kronprinz Ruprecht, nicht mehr die Chance bekam, als König zu amtieren. Da habe ich mir gedacht: „Ganz ist das nicht vorbei. Da sind noch Nachbeben zu spüren!“ Das war eigentlich der Auslöser für dieses Buch.

Ihre drei Hauptprotagonisten sind Josef Hofmiller, Oskar Maria Graf und Karl Alexander Müller. Diese Zeitzeugen tauchen auch in anderen Werken zur Geschichtsschreibung auf. Sind Sie im Rahmen Ihrer Recherchen auf noch unbekannte oder weniger bekannte Quellen gestoßen?

Es gibt weniger bekannte Quellen, aber es gibt kaum eine Darstellung der Zeit in autobiographischer Form, die so packend sind wie die Erinnerungen von Hofmiller, Graf und auch von Müller, weil sie eben ihre Nöte, Sorgen, Ängste so klar beim Namen nennen. Man spürt förmlich, wie sie das gepackt hat. Bei anderen, z.B. Victor Klemperer, Philipp Loewenfeld, Ernst Müller-Meiningen, ist das zum Teil auch zu spüren. Aber die setzen sich dieser Situation nicht so aus, wie es vor allem Hofmiller und Graf getan haben. Ich fand früher Hofmiller, als ich ihn vor fast 40 Jahren las, furchtbar reaktionär, war fast abgestoßen von ihm. Und jetzt merke ich, dass der Angst hatte, dass er verschüchtert war und dass er das auch sagen kann und will. Und das findet man selten bei geschichtlichen Quellen. Deswegen ist es zu recht so, dass die meisten, die über die Zeit schreiben, darauf verweisen. Natürlich muss man da vorsichtig mit diesen Quellen umgehen. Das sind alles Erinnerungen, die erst später und auch mit anderen Motiven geschrieben wurden, als nur authentisch die Stimmung der Zeit widerzugeben. Aber sie sind trotzdem unglaublich wertvoll.

Das kann man gar nicht dramatisch genug beschreiben

Sie beschreiben sehr eindringlich die Verrohung der Sitten und Werteverluste zum Ende des I. Weltkriegs hin. Sehen Sie das als Zeichen einer Zeitenwende an?

Michael Appel, Letzte Nacht der Monarchie, Bernd Sobolla

Das Buch „Die letzte Nacht der Monarchie – Wie Revolution und Räterepublik in München Adolf Hitler hervorbrachten“ von Michael Appel ist im dtv-Verlag erschienen. Das Werk hat rund 380 Seiten und kostet 28,- Euro.

Ich denke schon, dass das, was der I. Weltkrieg mit den Menschen und den sozialen Bindungen und Verhältnissen, in denen sie gelebt haben, angestellt hat, dass das wirklich ganz schreckliche Zerstörungen waren. Dieser ständige Tod, diese Konfrontation mit dem Stellungskrieg, in dem der Mensch wirklich nur so ein ganz kleines Rädchen in der Maschinerie war, in der man zum großen Erstaunen der Zeitgenossen nicht mit „Hurra!!!“ auf den Feind zulief und sich dann im Kampf Mann gegen Mann gegenüberstand. Es war eine brutale, maschinenartige Zerstörung von Leben. Da wurde die Erde umgepflügt. Noch heute gibt es in Frankreich Bauern, die an den Granaten zu Tode kommen, die noch im Boden liegen. Ich denke, das war eine solche Revolution der Lebensverhältnisse, der Stimmungen, der Meinungen, die die Menschen damals hatten, dass man das gar nicht dramatisch genug beschreiben kann. Ich glaube auch, dass man die Geschichte des Nationalsozialismus, des europäischen Faschismus sowie die Geschichte des Kommunismus mit all ihren Gewaltlösungen und ihrer Gewaltbereitschaft, nicht verstehen kann, wenn man nicht den Ersten Weltkrieg im Blick hat.

Ludwig III, Monarch ohne Gespür fürs Volk

Ludwig III. bzw. die Wittelsbacher-Familie war eine Königsfamilie, die von den Realitäten des gemeinen Volkes kaum etwas wusste oder wissen wollte. War das in den vorherigen Generationen ähnlich oder eher ein Phänomen der Zeit?

Nun, das ganze 19. Jahrhundert über haben sich die bayerischen Monarchen, aber auch andere Monarchen, nicht allzu viel um das Volk kümmern müssen. Ludwig III. stellt da keine Ausnahme dar. Die Neuerung der Zeit war, dass es in den Augen vieler Zeitgenossen eine Art Schicksalsgemeinschaft gab; dass man gemeinsam im Kampf gegen die Feinde meinte zu stehen. Deswegen war Ludwig schon herausgefordert, ein Monarch zu sein, der auf die Menschen zu gehen musste und sollte. Aber das hat er nicht in ausreichendem Maße getan. Er hatte einfach kein Gespür dafür und genau so wenig hatten das seine Minister und Berater.

 In München spielte die Musik

Sie beschreiben Armut, Kriegsmüdigkeit, Hunger, Desillusionierung als eine Mischung, die dazu führte, dass die Deutsche Revolution in München begann. Aber diese Umstände gab es in den anderen Reichsländern auch. Eigentlich hätte ich den Beginn einer Revolution eher im Ruhrgebiet erwartet, wo die Arbeiterklasse viel stärker und organisierter war.

Wenn die Arbeiterklasse stark und organisiert war, dann war sie in dieser Zeit in der SPD und in den Gewerkschaften organisiert und auch von deren Politik gefangen. Das Besondere an Bayern war, dass es da eine Hauptstadt gab, in der wirklich die Musik spielte. Im Ruhrgebiet war das ganz anders. Was ist die Hauptstadt des Ruhrgebiets? Essen? Dortmund? München war das Zentrum der bayerischen Welt. Wer in München das Kommando hatte, der bestimmte die Politik. Und es war ganz entscheidend, dass diese Radikalen in München die Politik vorantreiben konnten. Später hat man sie als Münchener Literaten-Revolutionäre bezeichnet. Das ist vollkommen übertrieben. Aber es steckt auch ein Stück Wahrheit drin, dass in einer Hauptstadt, in der alles konzentriert ist, es viel leichter ist, eine Revolution zu machen.

Eisner wollte nicht nur eine parlamentarische Monarchie

Sie beschreiben Kurt Eisner als einen vielseitig talentierten Politiker. Was zeichnete ihn besonders aus, dass er es schaffte mit dieser  kleinen USPD eine solch wichtige politische Kraft zu werden – zumindest bis zur Wahl? Was waren seine größten Leistungen?

Die meisten seiner Zeitgenossen sagten: Der Kurt Eisner hatte einen politischen Riecher!“ Das gilt zumindest für die Zeit bis 1918. 1919 wird das schon in Frage gestellt. Der wusste in der ersten Woche des November 1918: „Da geht noch was! Da bleiben wir nicht stehen bei der parlamentarischen Monarchie, bei der Demokratisierung des politischen Lebens. Die Menschen wollen Frieden, die wollen die Sicherheit, dass der Krieg vorbei ist. Und da müssen wir ansetzen und müssen die politischen Dinge voranbringen!“ Und das hat der Eisner geahnt. Das war der Riecher, den er hatte, der ihm den großen politischen Erfolg bescherte.

Menschen sind widersprüchlich

Sie beschreiben einerseits, wie die deutschen Soldaten immer mehr jegliche Achtung vor der Heeresleitung verloren. Andererseits erzählen Sie davon, dass englische Soldaten erstaunt waren, wie sich deutsche Soldaten ins Gefecht Mann gegen Mann warfen. Ist das nicht ein Widerspruch?

Das ist ganz eindeutig ein Widerspruch, aber Menschen sind widersprüchlich. Genauso wie die Gesellschaften, in denen sie leben und die Truppen, in denen sie dienen müssen. Ich fand z.B. ein Selbstzeugnis eines später sehr erfolgreichen Historikers, der als junger Bursche mit 16, 17 Jahren im Oktober 1917 noch unbedingt den Heldentot sterben wollte, sich regelrecht darauf freute, als andere Soldaten seines Alters nicht mal mehr im Traum daran dachten, ein Gewehr anrühren zu wollen. Das ist die Vielfalt, die natürlich in der Zeit nach der Revolution auch die enorme Sprengkraft in die Gesellschaft bringt. Die einen waren froh, dass die Revolution mit dem Krieg ein Ende gemacht hat, die anderen waren enttäuscht, dass der Krieg so zu Ende gehen musste.

Der Faktor Zeit

 Was waren für Sie im Rahmen Ihrer Recherchen die interessantesten Entdeckungen?

Was mich als Mensch der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirklich überrascht hat, das war, welche wichtige Rolle die Zeit in der Politik spielt. In der Zeit der Revolution musste die Welt innerhalb von Monaten, am besten innerhalb von Tagen neu werden, musste auf vollkommen neue Beine gestellt werden, so meinten das die Zeitgenossen jedenfalls. Das funktioniert nicht. Wenn man sich vorstellt, wie viele  Jahrzehnte es brauchte, bis aus der Umweltbewegung in der Bundesrepublik eine Regierungspartei wurde, dann kann man sich vorstellen, wie vermessen es in gewisser Weise war, sich vorzustellen, dass man die Welt innerhalb von wenigen Monaten neu gestalten könnte. Und dass der Faktor Zeit, das Wachsen von Einstellungen, von Veränderungen eine enorm wichtige Bedeutung haben. Dass man die Zukunft nicht im Sturmangriff nehmen kann. Das war für mich ein Erlebnis, eine Erkenntnis, die ich nicht hatte, als ich anfing, mir über dieses Buch Gedanken zu machen.

Das hat Hitler groß gemacht

Wenn Hitler nicht nach München gekommen wäre, sondern nach Dresden oder in eine andere deutsche Stadt, wäre uns dann viel erspart geblieben? Oder was hat Hitler aus dieser Münchner Epoche mitgenommen?

München war das Zentrum der deutschen Gegenrevolution. Ganz eindeutig. Und Hitler war wenige Jahre nach der Revolution bereits eine wichtige Figur darin. Anderswo hätte er vielleicht mit seinen Talenten auch reüssiert. Aber nicht so wie in München, wo die politische Situation so ganz außergewöhnlich war, dass sogar die Vertreter des konservativen Lagers, des rechten Lagers, die mit Hitler eigentlich nichts am Hut hatten und auch mit seiner Partei nichts am Hut hatten, doch mit denen koaliert haben und sich von den Nazis einfangen ließen. Bloß haben sie das leider zu spät gemerkt. Und die Spezifik der Situation in München, wo es so eine breite Koalition vom rechten politischen Katholizismus bis hin zu den Nazis gab, war ein Umfeld, das ganz außergewöhnlich war. Man sprach ja auch von der Ordnungszelle Bayern. Und das Hitler wirklich groß gemacht.

Interview: März 2018