Kurt Langbein – „Zeit für Utopien“

Zum Kinostart von „Zeit für Utopien“ am 19. April 2018

Über die Lust der Menschen an Kooperationen

 

Regisseur Kurt Langbein widmet sich in seinem Dokumentarfilm „Zeit für Utopien“ vier Initiativen, die eine Alternative zu Kapitalismus und Profitstreben anbieten: Petra Wähning gründete das Projekt „Solidarische Landwirtschaft“. Sie ist eine von 300 Konsumenten/innen, die von einem landwirtschaftlichen Betrieb direkt (ohne Umweg über den Supermarkt) versorgt werden. Die Genossenschaft „Hansalim“ aus Südkorea zeigt, dass es sogar möglich ist, 1,5 Millionen Menschen mit regionalen und biologisch angebauten Lebensmitteln zu versorgen. Laura Gerritsen von Fairphone reist  in den Kongo, wo faire Produktionsbedingungen für Metallgewinnung geschafft werden sollen, die in den Smartphones des Herstellers stecken. Das Wohnprojekt „Kalkbreite“ aus Zürich zeigt, wie man in einer Stadt energiesparend und umweltfreundlich leben kann – ohne auf Komfort zu verzichten. Und eine ehemals zum Unilever-Konzern gehörende Teefabrik in Südfrankreich verwaltet sich nach langem Kampf als Genossenschaft „Scop-Ti“ selbst…

Kurt Langbein, Zeit für Utopien

Regisseur: Kurt Langbein

 

 Bernd Sobolla: Kurt Langbein, Sie zeigen in Ihrem Film u.a. das Beispiel der sehr erfolgreichen Genossenschaft Hansalim in Südkorea. Genossenschaften sind aber keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Es gab sie schon vor rund 300 Jahren. Glauben Sie, dass wir jetzt eine neue Hochzeit der Genossenschaften erleben werden oder sind das eher Ausnahmeerscheinungen?

Kurt Langbein: Der Versuch, gemeinschaftlich zu produzieren und zu arbeiten, ohne Gier oder Eigennutz, den gibt es, seit es Menschen gibt. Es gab im Mittelalter Allmenden, Gemeinschaftsgüter oder Gemeinschaftsboden, die leider zum großen Teil im marktwirtschaftlichen System aufgegangen sind. Seit einigen Jahren gibt es jetzt allerdings eine sehr breite Bewegung: Menschen, die versuchen anders zu leben, anders zu wirtschaften, die versuchen den eisernen Vorhang, der sich zwischen Produzenten und Konsumenten befindet, aufzuziehen. Mit „Zeit für Utopien“ möchte ich eine Erzählung befördern, die zeigt, dass diese Entwicklung weiter ist als viele glauben.

Zeit für Utopien

Vier Utopien in einem Film. Doch genau genommen beschreibt Kurt Langbein bereits realisierte Projekte.

Die Kooperation in Frankreich, in der sich Arbeiter selbst organisieren, erinnerte mich an das alte West-Berlin. Besonders in den 70er Jahren gab es hier tausende Arbeitskollektive, jeder war sein eigener Chef. Davon ist aber heute nicht mehr viel übrig. Woran lag das? Und was ist an den heutigen Kooperationen anders?

Die Selbstverwaltungsidee und die Idee vom genossenschaftlichen Zusammenarbeiten von Produzenten und Konsumenten stand quasi vor zwei Wenden: Die eine war der Kommunismus, der diesen Ideen feindlich gegenüberstand. Und auf der anderen Seite der Kapitalismus mit seiner Gesetzmäßigkeit, der Geldvermehrung und des Wachstums. Diese beiden hatten eine enorme Stärke. Heute ist es so, dass nach dem Ende des Kommunismus nur noch der Kapitalismus in seiner absurdesten und brutalsten Form übriggeblieben ist – eigentlich eine Wettwirtschaft statt einer Weltwirtschaft. Da geht es fast nur noch um Geldvermehrung um seiner selbst willen. Gegenüber diesen starken Gegenpolen haben sich die Selbstverwaltungsbewegungen als zu schwach erwiesen. Auch heute ist es so, dass die Initiativen durchaus nennenswert sind und in einzelnen Ländern 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung in solchen kooperativen Systemen arbeiten. Was ihnen aber fehlt, ist eine gemeinsame Erzählung und ein gemeinsames Projekt für eine andere Welt insgesamt. Da ist noch viel geistige Arbeit zu investieren, weil  wir auch nicht genau wissen, wie diese Welt dann aussieht. Wir wissen nur, dass der Kapitalismus Wachstum braucht. Und dass das zur Zerstörung unseres Planeten führt, weil wir derzeit mehr Ressourcen verbrauchen als dauerhaft vorhanden sein werden. Wir müssen nach einem Ausweg suchen. Und der Film soll ein kleiner Beitrag dazu sein.

Petra Wähning

Petra Wähning gründete das Projekt „Solidarische Landwirtschaft“. Sie ist jetzt eine von 300 Konsumentinnen, die von einem landwirtschaftlichen Betrieb direkt versorgt werden. Foto: Langbein & Partner Filmverleih

Der Vertrieb ist noch immer ein Problem. Sollte man sich darauf konzentrieren, Produkte nur regional zu vertreiben? Dann käme der Tee von Scop-Ti allerdings nicht nach Deutschland, sondern nur in ein kleines Gebiet von Frankreich.

Ich bin überzeugt davon, dass die Lebensmittelversorgung grundlegend verändert werden muss. Zurzeit wachsen 60 Prozent der Lebensmittel, die wir einkaufen, nicht mehr bei uns, sondern in Ländern, wo die Leute ohnehin zu wenig zum Essen haben. Das hat eine Menge Folgen dort – vor allem Verelendung. Zweitens ist die Haltbarmachung und die sogenannte Veredelung der Lebensmittel ein immer größeres Mittel für die Lebensmittelindustrie. D.h. wir müssen hier umdenken. Und da ist regional, frisch und schadstofffrei das Gebot der Stunde. Das geht bei Lebensmitteln überwiegend einfacher. Wir haben vor 40, 50 Jahren hauptsächlich das gegessen, was auf unseren Feldern wuchs. Das könnten wir heute auch wieder tun. Man muss es nur in Angriff nehmen. Das geht bei Substanzen wie Kaffee oder Tee nur eingeschränkt. Wenn wir nur noch dieses Problem hätten, dann hätten wir schon eine viel bessere Welt.

 

Unilever, Scop-Ti

Rund drei Jahre besetzten die Mitarbeiter von Unilever in Südfrankreich „ihr“ Werk. Dann gab der Konzern nach und überließ den Arbeitern die Teefabrik, die die Arbeiter jetzt unter „Scop-Ti“ in Form einer Kooperative weiterführen. Foto: Langbein & Partner Filmverleih

Eine Sache blieb für mich etwas unklar: Was sollte die Dresdener  Lebensmittelgenossenschaft „Vorwärts“ in Ihrem Film? Einerseits sprechen Sie ja in von vier Beispielen. Aber „Vorwärts“ wäre das fünfte. Und dann präsentieren Sie kein wirkliches Projekt?

Der Hintergrund dieser Lebensmittelgenossenschaft ist für ein Interview mit Professor Bauer gewählt worden, weil erzählt werden sollte, dass es immer schon Genossenschaftsbewegungen geben hat. Diese sind aber im Zuge des Kapitalismus und seiner Durchdringung in alle Lebensbereiche verschwunden.

Der Neurowissenschaftler Dr. Bauer, den Sie erwähnen, spricht davon, dass der Mensch von Natur aus „Lust auf Kooperation“ hat. Er sagt aber nicht, dass der Mensch von Natur aus auch Lust hat, besser als sein Nachbar zu sein. Da existieren  zwei Elemente im Menschen, die gegeneinander wirken, oder?

Ja, das hat was für sich. Der Mensch ist weder gut noch böse. Aber er ist auf Gegenseitigkeit ausgelegt. Die Belohnungssysteme im menschlichen Gehirn, das ist neurophysiologisch bewiesen, funktionieren vor allem dann, wenn Resonanz entsteht.  Wenn es ein Feedback gibt. Und Konkurrenz, Gier und Ausgrenzung entstehen erst durch Angst. Das ist in der Entwicklungsgeschichte der Menschen gut nachvollziehbar. Dort, wo Knappheit, wo Privateigentum entstanden ist, kommen die andere Komponente, nämlich die der Konkurrenz, des Ausgrenzens und des besser oder stärker sein Wollens immer mehr zum Tragen.

 

Die vier Beispiele, die Sie nennen, sind das eher Ausnahmeerscheinungen? Oder glauben Sie, dass wir auf dem Weg in ein neues Produktions- und Nachhaltigkeitszeitalter sind?

Zeit für Utopien, Genossenschaft Hansalin

Auch ein nachhaltiges Fischereiwesen gehört zur Genossenschaft Hansalin in Südkorea. Foto: Langbein & Partner Filmverleih.

Ich glaube, wir müssen uns auf den Weg in ein neues Nachhaltigkeitszeitalter machen, weil wir die Ressourcen ausbeuten und weil die Ungerechtigkeit durch die gesamte Entwicklung der Marktwirtschaft weltweit immer mehr zunimmt. Ich glaube, dass die Beispiele, die im Film vorkommen exemplarisch sind: Das Beispiel des Wohnens mit wesentlich weniger Energieverbrauch, das Beispiel des Herstellens von Produkten in Selbstverwaltung, das Beispiel das zeigt, dass eineinhalb Millionen Leute mit regionalen, frischen Lebensmitteln versorgt werden können. Diese Beispiele stehen als Modell für eine Zukunft, die wir dringend brauchen, weil wir mit dem Wachstum, den der Kapitalismus braucht, nicht mehr lange leben können.

 

Es gibt einen Aspekt, weswegen ich dem, was Sie zeigen, als Bewegung skeptisch gegenüberstehe: Flugreisen sind mit das Umweltschädlichste, was es  gibt. Ein Flug von Frankfurt nach New York verursacht pro Kopf vier Tonnen CO2. Aber das Flugaufkommen steigt massiv von Jahr zu Jahr. Von Bewusstseinserweiterung keine Spur.

Es ist sicher so, dass in den Bereichen des Wohnens und des Lebensmittelkonsums die Überlegungen am weitesten gediehen sind. Dort sieht man am deutlichsten, dass sich das Verhalten der Menschen ändert. Im Bereich der Mobilität ist das noch nicht sehr ausgeprägt. Das gilt sowohl für den PKW-Verkehr, wo die Autos immer größer werden, obwohl man weiß, dass das weder nötig ist noch vernünftig. Und das ist auch bei den Fernreisen der Fall. Ich bin überzeugt davon, dass in zehn, zwanzig Jahren die meisten Menschen verstanden haben werden, dass mit dem aktuellen Mobilitätsverhalten unsere Erde überlastet ist.

 

Was war im Rahmen der Filmarbeiten Ihre interessanteste Erfahrung?

Zeit für Utopien

Zum Teil wird in Afrika mit bloßen Händen oder einfachem Schürfwerkzeug nach Bodenschätzen gegraben. Foto: Langbein & Partner Filmverleih

Ich kann schwer von Superlativen reden, weil ich viel in sehr vielen Bereichen gelernt habe: Ich habe in Südkorea gelernt, dass es möglich ist, eineinhalb Millionen Menschen, also eine ganze Stadt, regional und frisch mit Lebensmitteln zu versorgen. Das hätte ich nicht für möglich gehalten, und ich hatte auch keine Ahnung davon. Ich habe gelernt, dass auf der südlichen Halbkugel, vor allem in Afrika, hundert Millionen Menschen zum Teil mit bloßen Händen, Schaufeln oder Krampen die Rohstoffe für unsere Elektronikgüter und Autos aus dem Boden graben müssen.  Und dass es unendlich schwer erscheint, hier Verbesserungen herbeizuführen. Ich habe aber auch gelernt, dass es möglich ist, einen Weltkonzern wie Unilever eine Fabrik abzutrotzen, indem man sie besetzt und verhindert, dass sie aufgelöst wird, und drei Jahre lang drin bleibt. So lange bis der Konzern sagt: „Okay, dann macht  halt den Betrieb selber weiter.“ Das sind alles Superlative für mich, die bemerkenswert sind, die lehrreich sind und wo ich auch vom Esprit dieser Menschen viel mitgenommen habe.

 

Hinter dem Projekt in Südkorea steht eine 30-jährige Entwicklung. Können Sie dazu etwas sagen: Wie es angefangen hat und wie es sich entwickelt hat?

Die Genossenschaft Hansalin hat vor 30 Jahren begonnen, am Höhepunkt der Umweltkrise in Korea. Da gab es, ähnlich wie wir es heute aus China hören, vergiftete Lebensmittel durch übermäßigen Einsatz von Pestiziden. Bauern wurden vergiftet, weil sie ohne Schutz den Pestiziden ausgesetzt waren. Damals ist unter den Bauern eine Gegenbewegung entstanden, die diese Genossenschaft initiierte. Diese war sechs, sieben Jahre lang ganz klein und ist dann in einem relativ rasanten Umfang gewachsen, als auch in den Städten, die ja ein unglaublich rasante Entwicklung genommen haben, das Bedürfnis nach gesunder Nahrung wieder stärker geworden ist. Und als sich diese beiden Segmente verbunden haben, ist diese Riesengenossenschaft mit einer extrem guten Logistik entstanden. Wenn man in ihre Geschäfte geht, fühlt man sich einfach wohl und man weiß, dass man 2.000 Produkte regional und frisch einkaufen kann. Alles was man braucht.

Interview: Berlin, März 2018