Zum 90-jährigen Jubiläum der Uraufführung von „Berlin, die Sinfonie der Großstadt“
Wie eine Berliner Band mit elektronischen Beats einen Stummfilmklassiker belebt
Vor 90 Jahren, am 23. September 1927, wurde „Berlin, die Sinfonie der Großstadt“ uraufgeführt. Publikum und Kritik feierten den Montagefilm von Walter Ruttmann, eine großartige filmische Reise durch einen Tag im Berlin der 1920er Jahre. Die clipartige Montagetechnik und die historischen Momentaufnahmen des Films haben bis zum heutigen Tage nichts von ihrer Faszination verloren. Immer wieder begleiten Stummfilmmusiker oder Orchester das Werk zu besonderen Anlässen. Dabei sticht vor allem die elektronische Berliner Band Tronthaim heraus. Die Tronthaim-Musiker (Daniel Dorsch und Sascha Moser) begleiten seit fast neun Jahren den Film mit ihrer Musik regelmäßig im Central-Kino in Berlin-Mitte, aber auch auf Freilichtbühnen. Dabei ist Tronthaim eine kongeniale Ergänzung gelungen: Ihre elektronischen Beats verleihen dem Film eine anziehende Dynamik und zugleich ein modernes Gewand. Ihre Auftritte haben sich zu einem festen Termin nicht nur für Berlin-Touristen entwickelt.

Sascha Moser (lks.) und Daniel Dorsch begleiten als Band Tronthaim regelmäßig „Berlin, die Sinfonie der Großstadt“ im Berliner Central-Kino.
Ruttmann-Klassiker mit Blasmusik
Bernd Sobolla: Daniel, Ihr begleitet seit fast neun Jahren regelmäßig „Berlin – Sinfonie der Großstadt“ im Central-Kino. Wie ist es dazu gekommen?
Daniel Dorsch: Das begann vor den Auftritten im Central-Kino. Ein gemeinsamer Freund von uns hatte in den 90er Jahren eine Bar in einem besetzten Haus. Er wollte gern eine Party machen, auf der der Film gezeigt werden sollte, und fragte uns: „Sagt mal, habt ihr nicht Lust, ein bisschen Musik zu diesem Film aufzulegen?“ Daraufhin guckten wir uns den Film an und dachten: „Whow, der Film ist großartig. Da denke wir uns etwas Besonderes zu aus!“ Wir hatten damals eine VHS-Kassette des Films. Auf der gab es zwar einen Soundtrack, das war aber nicht der, der vor einiger Zeit rekonstruiert und von Arte noch einmal neu aufgenommen worden ist. Sondern es war irgendeine Blasmusikvariation, etwas ziemlich Kurioses. Und dann setzten wir uns hin und begannen, den Film neu zu vertonen. Da saß ich dann vor meinem alten Atari ST mit vielen Kabeln und viel Equipment und legte los.

Vor dem Auftritt gehen die Musiker noch einmal die schwierigsten Passagen durch.
Wart Ihr damals schon als Band „Tronthaim“ unterwegs?
Das Projekt Tronthaim gab es mehr oder weniger schon, auch wenn es noch in seinen Anfängen war. Wir sind keine klassische Band, die immer gemeinsam unterwegs ist, sondern wir arbeiten projektmäßig zusammen. Aber es gab damals schon Projekte, die wir als Tronthaim machten.
Wenn ich bei Youtube gucke oder auf Euer Webseite, dann konzentriert sich Tronthaim eigentlich auf „Berlin, die Sinfonie der Großstadt“.
Sascha Moser: Nicht ganz. Wir haben auch einen anderen Stummfilm mit elektronischer Musik vertont, nämlich den Lotte Reiniger Film „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ aus dem Jahr 1926. Diese Projekte vereinen uns.
Rammstein, Remix, Elektronik
Als ihr das musikalische Konzept zu „Berlin, die Sinfonie der Großstadt“ entwickeltet: Gab es für Euch einen Moment, wo Ihr sagtet: „Oh, wir machen ja elektronische Musik. Und die entspricht nicht unbedingt dem Zeitgeist Berlins der 1920er Jahre.“
Sascha Moser: Wir haben damals nicht viel darüber nachgedacht. Das lag einfach daran, dass wir zu dieser Zeit elektronische Musik machten. Also Daniel sowieso, und ich bin in erster Linie Schlagzeuger. Damals haben wir übrigens für Rammstein ein Remix gemacht. Damit hat es eigentlich für uns angefangen und ich bin dann tiefer in die Elektronikwelt eingestiegen. Letztlich war es für uns eine natürliche Form des Ausdrucks.
Daniel Dorsch: Wir haben damals nicht darüber nachgedacht, ob wir elektronische Musik machen oder mit der Gitarre spielen. Es war völlig klar, dass wir das so machen müssten, wie wir es dann umgesetzt haben.

Zwei Musiker, drei Blicke: Leinwand, Publikum, Equipment.
Sascha Moser: Die elektronische Musik war unsere Musik. Wir haben uns vor allen Dingen an der Geschwindigkeit und an den Schnitten der Bilder orientiert und haben wenig über die Inhalte nachgedacht. Es waren eher der Bilderrhythmus und die Bilder, die uns angetrieben haben.
Daniel Dorsch: Dann kommen die Stimmungen und Gefühle dazu und schließlich wächst alles zusammen.
Beats und Baselines sind festgelegt
Ihr habt zu „Berlin, die Sinfonie der Großstadt“ auch einen Soundtrack veröffentlicht. Außerdem habe gesehen, dass Du, Daniel, Noten vor dir hast, eine Art Komposition. Inwieweit erfindet Ihr den Soundtrack bei der Live Darbietung immer wieder neu?
Daniel Dorsch: Wir erfinden den Soundtrack nicht neu. Wir haben ein grundsätzliches Konzept entwickelt, aber auch immer wieder etwas daran geändert. Die jetzige Variante gefällt uns am besten. Wir stellen jetzt nicht mehr einen riesigen Haufen Equipment auf die Bühne. Es gibt einige Fixpunkte: Also wir haben die Beats und bestimmte Baselines festgesetzt. Und damit arbeiten wir. Zugleich gibt es bestimmte Freiräume, die wir uns bewusst offen lassen, um sie frei gestalten zu können. Aber grundsätzlich gibt es ein festes Programm, eine Komposition, die wir spielen.

Auch wenn es hier nicht so aussieht: Es gib kaum noch Fragen zwischen Daniel Dorsch (lks.) und Sascha Moser.
„Der Film ist der Sänger“
Dennoch guckt Ihr oft auf die Leinwand.
Sascha Moser. Ja, es gibt ja viele Momente, wo wir uns immer wieder neu inspirieren lassen. Daniel hat da vor allem seine Piano-Passagen, wo er anfängt, wirklich das Bild zu illustrieren und mit der Stimmung mitzugehen. Ich wiederum schaue auf die Leinwand, um irgendwelche Aktionen zu entdecken, die gerade stattfinden, die ich illustrieren will. Ich gucke aber auch viel ins Publikum. Man steht ja trotzdem auf einer Bühne, nur dass der Sänger in diesem Fall der Film ist.
Ihr habt vorhin vom besetzten Haus und einem Freund erzählt, der Euch auf „Berlin, die Sinfonie der Großstadt“ aufmerksam machte. Wie seid Ihr dann ins Central-Kino gekommen?
Daniel Dorsch: Irgendwie haben wir den damaligen Programmmacher Klaus Kreiner kennengelernt und haben ihn einfach gefragt: „Sag mal, wir haben gerade dieses Projekt erarbeitet. Wäre das nicht auch etwas für dein Kino hier?“ Klaus hat „ja“ gesagt, wir traten auf und spielen seither hier regelmäßig. Das war relativ simpel – alles per Handschlag.
Wir sieht die Zuschauerresonanz aus?
Daniel Dorsch: Am Anfang des Jahres hatten wir die komfortable Situation, Doppelvorstellungen zu spielen. Das ist natürlich schön, wenn wir zweimal hintereinander spielen können, und es ist ausverkauft.
Sascha Moser: Das ist aber immer saisonabhängig. Das Central ist ein kleines Kino, und du kannst nicht zu viel Werbung machen. Der November ist z.B. eher ein schlechter Monat.
Und im Dezember sieht es wieder besser aus, weil es draußen kälter ist und die Leute wieder eher ins Kino gehen?
Sascha Moser: Genau so ist es. Und zwischen Weihnachten und Neujahr geht es immer wieder richtig los.

„Berlin, Sinfonie einer Großstadt“ hätte einen anderen Titel verdient!“
Remake von 2002 ein anderer Film mit falschen Titel
Es gibt nicht nur Walter Ruttmanns „Berlin, die Sinfonie der Großstadt“ von 1927, sondern auch „Berlin, Sinfonie einer Großstadt“, die Neuverfilmung von Thomas Schadt aus dem Jahr 2002. Der hatte allerdings ein ganz anderes musikalisches Konzept. Habt Ihr mal überlegt, den Film ebenfalls im Tronthaim-Stil einzuspielen?
Sascha Moser: Dazu wurden wir sogar angefragt. Das hat sich dann aber zerschlagen. Die Anfrage kam vom „Ufa-Filmtage-Festival“. Die wollten, dass wir aus den beiden Filmen ein Doppelprogramm machen. Daraufhin habe ich mir den Schadt-Film zum ersten Mal intensiv angeguckt. Allerdings würde ich dir widersprechen. Die beiden Filme sind nicht sehr identisch. Jedenfalls habe ich das so nicht empfunden. Meiner Ansicht nach ist „Berlin, Sinfonie einer Großstadt“ ein ganz anderer Film, der eigentlich auch einen anderen Titel hätte haben sollen. Denn den Vergleich mit dem Ruttmann-Film hält er nicht Stand. Aber der Film hat andere Stärken. Er vermittelt ein ganz anderes Gefühl, was mir jetzt schwer fällt zu beschreiben. Das musste ich auch dem potentiellen Auftraggeber sagen: „Die Musik, die da drauf ist, ist doch super! Da wäre es Quatsch, so was so zu machen, weil der Clou ist ja wiederum, dass die Musiker (Helmut Oehring, Iris ter Schiphorst) eine moderne, orchestrale Form gewählt haben für diese modernen Bilder. Also das passt perfekt. Da war die Idee, den Film neu zu vertonen, überflüssig. Auf jeden Fall hätte ich dem Film einen anderen Titel gegeben.
Welchen Stellenwert hat Tronthaim im Rahmen Euer künstlerischen Laufbahn?
Daniel Dorsch: Tronthaim ist ein richtiges Liebhaber-Projekt.
Sascha Moser: Der schnöde Mammon kommt woanders her. Aber Tronthaim hat für mich persönlich einen hohen Stellenwert. Wir machen das hier total gern, und das Interessante an der Sache ist, dass wir das schon so lange machen. Das machen ja die Wenigsten. Wir kennen uns einfach sehr lange, sind keine junge Band mehr, die noch miteinander kämpft. Man hat sich gewisse Hörner abgestoßen. Daraus entwickelt sich eine neue Form der Zusammenarbeit. Es ist anders als es früher war, aber dann auch total cool und neu, weil du so entspannter bist. Und dennoch sind wir total dran.