Andre´ Schäfer – „You´ll never walk alone“

 

Zum Kinostart von „You´ll never walk alone“ am 18. Mai 2017.

 Ob im Stadion, im Opernhaus oder vor Ground Zero…

In „You´ll never walk alone“ schickt der Filmemacher André Schäfer den Schauspieler Joachim Król als Rechercheur auf die Reise, die Geschichte des berühmtesten Fußballsongs der Welt zu erzählen.

 „You´ll never walk“ alone gilt als die berühmteste Fußballstadionhymne der Welt. Ursprünglich stammt das Lied aus dem ungarischen Theaterstück „Liliom“, das 1909 in Budapest uraufgeführt wurde, bzw. aus dem daraus 1945 entstandenen Broadway Musical „Carousel“. Der Dokumentarfilmemacher André Schäfer erzählt die Geschichte des Liedes, das hierzulande vor allem bei Borussia Dortmund zur DNA des Vereins gehört.

 

André Schäfer, You´ll never walk alone

André Schäfer reiste für „You´ll never walk alone“ durch Ungarn, Österreich, Deutschland, die USA und England.

Bernd Sobolla: André Schäfer, erinnerst Du dich noch an deine erste Begegnung mit „You´ll never walk alone“?

André Schäfer: Ich kannte „You´ll never walk alone“ als Lied, aber nicht als Fußballsong im Stadion. Ich wusste, dass er in Dortmund gesungen wird, habe ihn dort aber nie live gehört. Der Autor unseres Films, Hartmut Kasper, ist großer Dortmund-Fan (obwohl er in Gelsenkirchen lebt). Der singt „You´ll never walk alone“ bei jedem Heimspiel. Eines Tages kam er auf die Idee, Zuhause nachzuschauen, wo das Lied eigentlich herkommt. Dabei ist er auf diese Budapest-Geschichte gestoßen. Ich war just in diesem Moment mit dem Auto in den französischen Weinbergen unterwegs, und auf meiner Rücksitzbank saß Joachim Król, mit dem ich gerade drehte.  Hartmut rief mich an (die Freisprechanlage war eingeschaltet) und erzählte mir von Budapest und Wien, vom Broadway in New York, Liverpool, Gerry Masten und natürlich Dortmund. Und als er aufgelegt hatte, sagte hinter mir Joachim: „Also wenn du den Film machst, dann bin ich auf jeden Fall dabei. Ich war nämlich auch am Samstag in Dortmund und habe wie Hartmut lauthals mitgesungen.“ Das war die Initialzündung zu dem Film.

Joachim Król singt vor einem Spiel des BVB „You´ll never walk alone“ mit.  (Foto: mindjazz pictures)

„Ich hatte keine Hemmung, den Film zu machen“

Hattest Du nicht irgendwie auch ein bisschen Hemmung? Wenn Du sagst, dass du das Lied im Fußballstadion nicht kanntest, dann heißt das zugleich, dass Du keinen so großen Bezug zum Fußball hast.

Also ich würde mich nicht als absolut treuen Fußballgucker bezeichnen. Aber ich komme aus Köln, ich leide mit dem FC, seitdem ich denken kann. Die Höhen und die Tiefen sind da ziemlich eng beieinander. Es gibt einige Vereine, die ich immer sehr sympathisch fand. Es ist ja auch so: Entweder man ist Bayern-München-Fan oder man ist im Ruhrgebiet Zuhause. Von daher fand ich das immer sehr sympathisch, dass da ein Lied ist, das gerade in so einem großen Stadion gesungen wird. Also ich hatte keine Hemmungen, den Film zu mache, im Gegenteil. Das war für mich eine tolle Aufgabe, vor allen Dingen weil ich mich davon selber überzeugen konnte. Eben weil ich vorher noch nicht im Stadion war, wo die Fans das lauthals gesungen hätten. Und dann hatte ich die Gelegenheit, das Lied in Dortmund und auch in Liverpool zu hören. Also besser geht es eigentlich nicht.

Gibt es keinen englischen Dokumentarfilm zu „You´ll never walk alone“? Das liegt doch eigentlich nahe.

Nein, es gibt keinen englischen Dokumentarfilm zum Song. Das ist der einzige und bislang erste Film über dieses Lied. Es gibt zwar einen Dokumentarfilm über den FC Liverpool, in dem auch das Lied vorkommt. Aber es gibt bislang keinen Film über das Lied. Wir sind da quasi Vorreiter.

 

Auch die Katastrophe von Hillsborough gehört zu „You´ll never walk alone“

Und die BBC ist nicht gleich als Co-Produzent mit eingestiegen?  

Bislang nicht. Als Deutscher ist es wohl ziemlich schwierig, im Vorfeld der BBC klar zu machen, dass wir auch gute Filme machen können. Aber wir haben einen englischen Weltvertrieb. Und deshalb hoffen wir, dass der Film natürlich auch in England gezeigt wird. Außerdem haben wir uns beworben bei einem Filmfestival, nämlich in Sheffield. Das ist das International Documentary Festival, Sheffield, ein sehr bekanntes Dokumentarfilmfestival. Und Sheffield kommt auch in unserem Film vor – leider. Durch die Katastrophe von Hillsborough, bei der 1996 über 700 Menschen verletzt wurden (vor allem Fans vom FC Liverpool) und 96 Menschen starben. Deshalb würde ich mich freuen, wenn wir den Film in England präsentieren könnten.

Lass uns zum Ursprung des Liedes gehen, nach Budapest. Das Theaterstück „Liliom“, das 1909 dort seine Premiere feierte, war quasi die Initialzündung für „You´ll never walk alone“. Hat das Stück in Budapest heute noch eine Bedeutung?

Absolut. „Liliom“ war und ist, so glaube ich jedenfalls, das berühmteste Theaterstück von Ferenc Molnár. Und Ference Molnár ist wiederum der berühmteste Dramatiker Ungarns. D.h. das Stück und der Autor sind heute nach wie vor berühmt. „Liliom“ ist gerade letztes Jahr in Budapest wieder auf die Bühne gekommen. Das haben wir auch gedreht. Bis heute arbeiten sich viele bekannte Regisseure an dem Stoff ab. Außerdem ist eine Oper dazu geschrieben worden, die dann allerdings in Bayern Premiere hatte.

Der Mersey-Beat macht das Lied zum Stadionsong

Król, Campino, Liverpool, You´ll never walk alone

Joachim Król und Campino vor dem Liverpooler Stadion an der Anfield Road. Campino und „Die toten Hosen“ spielen seit rund 20 Jahren „You´ll never walk alone“ am Ende Ihrer Konzerte. (Foto: Mindjazz pictures)

Würdest Du sagen, dass die Entstehungsgeschichte von „You´ll never walk alone“ als Fußballsong, nämlich Anfang der 60er Jahre durch Gerry and the Pacemakers, die das Lied in ihren Konzerten spielten, eine besondere Zeit war? Dass das den Erfolg des Liedes überhaupt erst möglich gemacht hat? Oder wäre es zehn oder zwanzig Jahre später genauso gut möglich gewesen?

Was ich total faszinierend fand, war diese Epoche des Mersey-Beat, die ich kaum kannte: Also Anfang der 60er Jahre gab es in Liverpool eben nicht nur die Beatles, sondern ganz viele Bands und auch ganz viele Clubs, die sehr lange Bestand hatten. Es gab eine sehr ausgeprägte Subkultur. Jeden Tag spielten Bands und junge Musiker irgendwo, die ziemlich gefeiert wurden. Das hat auch den Erfolg von „You´ll never walk alone“ ausgemacht, so dass es zur gleichen Zeit möglich war, dass man im Stadion Musik spielen konnte. Gerry and the Pacemakers passten da perfekt in diese Zeit. Sie waren übrigens damals bevor die Beatles weltberühmt wurden, die  Nummer zwei in Liverpool. Das hat den Erfolg des Songs natürlich zusätzlich unterstützt.

„You´ll never walk alone“ in der Hochkultur?

Du hast diese Parallelen zwischen Dortmund und Liverpool schön herausgearbeitet, zeigst diese beiden Arbeiterclubs, die beide eine ähnliche Historie haben. Zudem wurde der BVD 1909 gegründet, in dem Jahr, in dem „Liliom“ Premiere hatte. Dann kommen noch andere Sachen zusammen: z.B. dass das Stück auch von Arbeitslosigkeit handelt. Das passt alles wunderbar. Dann aber hast Du gleichzeitig diesen  Aspekt der Hochkultur eingebaut. Damit meine ich nicht nur das Broadway-Musical, sondern vor allem auch die Orchesteraufnahme, die in Hamburg stattfand. Ist das nicht fast ein Widerspruch?

Ne. Wir wollten das Stück einmal pur hören, einmal als A cappella. Das haben wir auch aufgenommen. Aber dann gefiel uns die Orchesterversion noch besser und wir fragten uns: Wer kann das machen? Und dann haben wir Thomas Hengelbrock, der jetzt Chefdirigent der Elbphilharmonie geworden ist, mit seinem wunderbaren Chor und Orchester angefragt. Und der hat sofort gesagt: „Das machen wir. Wir sind ein sehr internationales Orchester, ein sehr internationaler Chor und haben viele Fußballfans dabei.“ Das hat sich anscheinend in jedem Kulturzusammenhang durchgesetzt, dass der Fußball eine tragende Rolle spielt. Thomas Hengelbrock sagte also gleich zu, als wir ich ihn baten, diesen Fangesang zu adaptieren. Wir hatten die Idee, dass es genauso emotional klingen sollte wie der Fangesang im Stadion, aber ganz professionell gesungen. Und das hat er versucht zu machen. Und als ich das Ergebnis zum ersten Mal hörte, dachte ich nur: „Wahnsinn!“ Und so hat auch Joachim Król reagiert.

 

Ground Zero und Inauguration

Gab es für Dich bestimmte Überraschungen bei der Recherche, beim Projekt, bei den Besuchen der verschiedenen Städte und Stadien?

Król, Broadway, You´ll never walk alone

Joachim Król bei den Dreharbeiten auf dem Times Square. Mit dem Musical „Carousel“ erschien auch das Lied „You´ll never walk alone“. (Foto: Mindjazz Pictures)

Also wir haben uns lange Gedanken gemacht, was wir alles in diesem Film erzählen wollen. Und da sind am Ende – das ist vielleicht die Überraschung – ein paar Sachen auf der Strecke geblieben – leider. Bei der Premiere auf dem 11-mm-Fußballfilmfestival“ in Berlin hat mich jemand angesprochen, warum wir denn nicht Robert Enke drin haben, den ehemaligen Nationaltorwart, der sich umgebracht hat. Wir wollten tatsächlich die Bischöfin Margot Käßmann mit einbauen, weil sie damals die Predigt auf der Trauerfeier für Robert Enke hielt und das Lied „You´ll never walk alone“ mit einbezog. Das hat  aber aus Termingründen nicht reingepasst. Auch andere Sachen haben nicht funktioniert:  Wir wollten unbedingt St. Pauli im Film haben. Auch ein Verein, der sich total einreiht in dieses Arbeitermilieu. Das passt gut zum BVB, passt gut zu Liverpool, hätte auch gut zu Glasgow gepasst in Schottland. Das hat aber nicht funktioniert, weil  in St. Pauli die Fans diesen Song nicht jedes Mal singen. Dann haben wir versucht, auch hoch offizielle Anlässe mit einzubauen, weil das Lied, das wusste ich nämlich nicht, das offizielle Gedenklied zu 9/11 war. Ein Jahr nach dem Anschlag in New York wurde dieses Lied am Ground Zero gesungen, von der US-Sopranistin Renée Fleming. Da haben wir, wiederum überraschend für uns, nicht die Rechte bekommen. Wir durften das einfach nicht zeigen. Ich weiß gar nicht warum. Ebenso ungewöhnlich: You´ll never walk alone“ wurde zur Amtseinführung der US-Präsidenten George Bush Senior sowie Barack Obama gesungen. Auch das durften wir nicht verwenden, weil es vom Oval Office bzw. den US-Stellen nicht freigegeben wurde. Also es gab noch eine Fülle von Sachen, die wir hätten erzählen können, die aber auf der Strecke geblieben sind. Andere Sachen haben wir wiederum dazu gefunden. Für mich war am überraschendsten, dass sich dann doch das Lied am tollsten im Stadion anhört. Und zwar sowohl in Liverpool als auch in Dortmund.

Hinweis

Tom Tykwer und die Geschichte des Moviemento auf DVD