Hassan Geuad – „Glaubenskrieger“

TV-Tipp „Glaubenskrieger“: Das Erste, Mittwoch, 19. Juli, 23.15 Uhr / ARD-Mediathek 

 „Wir haben das Grundgesetz zu respektieren und nicht die Scharia durchzusetzen“ 

Eine Gruppe junger muslimischer Aktivisten aus Düsseldorf will nicht länger bei Terror-Anschlägen schweigen. Sie prangert Gewalt im Namen des Islam an und fordert auf, dagegen zu protestieren. Mit Aktionen und Videos kämpfen Hassan Geuad und die Gruppe „12th MemoRise“ gegen Extremismus und für einen reformierten, friedlichen Islam in Deutschland. Mit ihren Aktionen gegen den IS will die Gruppe in Fußgängerzonen und den Sozialen Netzwerken ein starkes, öffentliches Bekenntnis von Muslimen gegen den Terror erreichen. Doch ihre Botschaft stößt nicht nur auf Unterstützung. Der Dokumentarfilm „Glaubenskrieger“ von Till Schauder portraitiert die Gruppe, er gewann den Doku-Wettbewerb „Top of the Docs“ der ARD 2016 und läuft jetzt im Ersten. Ein Gespräch mit dem Protagonisten Hassan Geuad.

Hassan Geuad während einer Aktion in Düsseldorf. (Foto: © WDR/NEOS Film/Till Vielrose)

 

„Wir erkannten die Gefahr, dass der Terror nach Europa kommen könnte“

Bernd Sobolla: Hassan Geuad, was war der Ausgangspunkt für die Gründung von „12th MemoRise“? Hatte es mit der Ausrufung des Kalifats im Irak zu tun?

Hassan Geuad: 12th MemoRise wurde 2014 gegründet und hat mit der Gründung des Kalifats im Irak nichts zu tun. Eher mit der Expansion des IS im Irak und Syrien. Wir haben die Gefahr erkannt, dass der Terror nach Europa kommen könnte, dass die Salafisten-Szene, die in Deutschland immer aktiver wird, eine Gefahr für uns sein wird. Daher haben wir provokativ dagegen protestiert, gegen den IS, gegen den Salafismus hier in Deutschland. Ein weiterer Anlass war 2014 die Hinrichtung von 1.700 jungen Soldaten in Camp Speicher (in der Nähe von Tikrit) im Irak, die binnen Stunden abgeschlachtet wurden. Deshalb haben wir die Initiative ergriffen, gehen auf die Straße und warnen vor diesen bestialischen Taten. Leider Gottes gab es einige Monate später den Anschlag auf „Charlie Hebdo“. Das war eine Bestätigung für unsere Botschaft.

Können Sie die Namensgebung von „12th MemoRise“ erläutern?

Wir haben uns bei dem Namen viele Gedanken gemacht, welche Gemeinsamkeiten wir mit anderen finden können, besonders mit anderen Religionen. Außerdem wollten wir einen interreligiösen Namen haben. Die Zahl 12, die wir gefunden haben, gibt es gleichermaßen im Judentum, Christentum und Islam. Im Judentum sind es die 12 Stämme, im Christentum die 12 Jünger und im Islam 12 Imame. Wir wollten an diese Gemeinsamkeit erinnern. Deshalb auch das Wortspiel „MemoRise“.

Sie sagen im Film: „Einige von uns haben Familienmitglieder verloren?“ Was meinen Sie damit konkret?

Einige von uns haben Familienmitglieder im Irak verloren: entweder durch Terroranschläge oder an der Front im Kampf gegen den IS.

„Ich habe nicht nur verbale Angriffe erlebt“
12th MemoRise / Glaubenskrieger

Zur Gruppe „12th MemoRise“ zählen auch junge Frauen. (Foto © WDR/NEOS Film/Till Vielrose)

Sie sprechen im Film davon, Zuhause eine Waffe zu haben – für alle Fälle. Sie sind oft verbal bedroht worden. Das sehen wir im Film. Gab es auch körperlich Angriffe?

Ich besitze Zuhause eine Waffe, ja. Ein Küchenmesser, nicht eine Pistole. Die Pistole, die im Film gezeigt wird, ist keine wirklich geladene. Ich denke aber immer daran, wie ich mich verteidigen würde, falls jemand bei mir auftaucht. Ich habe nicht nur verbale Angriffe erlebt, sondern auch körperliche. In der Nähe der Omar  Mosche in Düsseldorf z.B. wurde ich aus dem Hinterhalt nachts angegriffen. Von daher ist es besser, wenn ich vorsichtig bin.

 

„Wir machen keine Satire“

Die User-Zahlen für ihre Aufklärungsfilme bei Youtube sind noch überschaubar, aber die Kommentar größtenteils positiv. Wie sehen Ihre Pläne für die Webserie aus?

Wir leisten viel Reformationsarbeit an Schulen, an Universitäten, in islamischen Kreisen. Davon präsentieren wir einiges auf Youtube, Facebook und anderen sozialen Netzwerken. All das wird im Film nicht gezeigt. Das ist eigentlich eine Frage an den Regisseur. Ich finde aber auch, dass man nicht alles zeigen kann. Sonst würde der Film den Rahmen sprengen. Die User-Zahlen sind leider noch überschaubar. Aber es gab viele Medienberichte über uns – internationale sogar. Die Resonanz in den sozialen Netzwerken hingegen ist nicht so groß, hauptsächlich aber positiv. Und uns ist Qualität wichtiger als Quantität. Wir wissen, dass die heutige junge Generation viel mehr auf Hype-Sachen steht: auf Musik, schräge oder lustige Videos. Das machen wir nicht. Wir machen auch keine Satire, sondern wir betreiben unsere Sachen ernst und versuchen innerhalb unserer Community aufzuräumen und nach außen einen Islam zu präsentieren, der mit dieser Gesellschaft konform  ist. Uns folgen Lehrer, Professoren, Journalisten usw. Das ist uns  wichtig, weil diese Menschen eine ganze Generation erziehen.

„Nicht der Islam gehört zu Deutschland, sondern die Muslime gehören zu Deutschland“

Sie sprechen davon, dass ein Islam mit deutscher Identität aufgebaut werden müsste. Was meinen Sie damit? Ich kann mir z.B. keinen deutschen Katholizismus vorstellen.

Islam mit deutscher Identität gibt es eigentlich schon. Wir haben schon vor Jahren Gelehrten, die Europa besuchten, gesagt: „Hier finden Sie keine Muslime, sondern Christen oder Andersgläubige. Aber der Islam ist gesetzlich (Religionsfreiheit) geschützt. Und in arabischen bzw. islamischen Ländern finden wir Muslime vom Namen her, aber keinen gesetzlichen Islam.  Dieser Spruch ist unter Muslimen bekannt. Denn die Gesetze, die hier herrschen, sind sehr islamisch, sehr friedlich, sehr menschlich. So dass wir eigentlich gar kein Problem haben, hier einen Islam mit deutscher Identität zu schaffen. Dennoch muss man auch sehr kritisch sagen: Der Islam gehört nicht zu Deutschland, sondern die Muslime gehören zu Deutschland. D.h. wir haben das Grundgesetz zu respektieren und nicht die Scharia durchzusetzen. Als Muslime sollten wir den Islam der Gesellschaft hier anpassen.

Als Abtrünnige bezeichnet, zum Abschuss freigegeben
12th MemoRise versus Pegida

„12th MemoRise“ trifft auf Pegida vor dem Berliner Hauptbahnhof. Eine fast skurril wirkende Szene. (Foto © WDR/NEOS Film/Till Vielrose)

 Im Film klagen Sie, dass islamische Dachverbände mehr erreicht hätte, wenn sie eine Demonstration gegen Terror und Islamismus organisiert hätten. Das dies aber nicht geschehen sei. Warum kam es nicht dazu?

Leider haben wir durch unserer Arbeit feststellen müssen, dass die Dachverbände gar kein Interesse haben, Radikalismus bzw. Salafismus in Deutschland zu bekämpfen. Wir haben sehr oft gefragt, Wir haben sehr oft gefragt, ob sie Strategien dagegen haben. Aber das gehört nicht zu ihren Prioritäten. Priorität haben bei ihnen Übersetzungsarbeit, Expansion des Islam, Unterstützung der bestehenden Gemeinden. Das ist ihre hauptsächliche Arbeit. Zudem vertreten sie die Interessen ihrer Herkunftsländer. Uns fehlt eine Art Mittelweg, der die konservative Art und die liberale Form, die wir heute als reformierten Islam verstehen, verbindet. Das fehlt uns. Von daher haben wir auch gefragt, warum sich die Dachverbände nicht öffnen, warum sie keine Demonstration organisieren, warum sie nicht aktiver handeln. Wir haben im Wesentlichen drei Gründe gehört. Einige Gelehrte haben gesagt: „Wir haben keine Erlaubnis aus dem Ausland!“ Andere meinten, die Medien würden das eh ins schlechte Licht rücken. Was meines Erachtens falsch ist. Und einige meinten: „Das sind unsere Brüder!“ Das empfand ich als schockierend. Ich wusste nicht, dass Muslime zu solchen Terroristen Brüder sagen können. Unser Hinweis, dass wir mit nur 500 Euro mehrere Aktionen finanziert haben, und sie viel bessere Finanzierungsmöglichkeiten für die Organisation von Demonstrationen hätten, wurde sehr kritisch aufgenommen. Später wurden wir in Artikeln als „Abtrünnige“ bezeichnet und zum „Abschuss freigegeben“.  Es gab keinen Verband, der uns in Schutz genommen hätte. Und wir haben nicht nur verbale Angriffe bekommen, sondern auch fühlbare Schmähungen und Drohungen.

Gibt es keinen Islamverband, der Ihre Arbeit unterstützt?

Nein, wir werden weder von Gemeinden noch Instituten oder Dachverbänden unterstützt. Man sieht das auch im Film, wie wir immer wieder die Finanzierung ansprechen. Unseren Versammlungsraum haben wir gemietet. Dazu haben wir alle zusammengelegt. Manchmal halfen uns unsere Eltern oder Familienangehörige. Unser Vermieter hat uns den Raum inzwischen zu Weihnachten geschenkt, weil er unsere Arbeit unterstützen wollte.

„Das hat keine Basis im Islam“

In Berlin wurde vor Kurzem die Ibn Rushd-Goethe-Moschee gegründet, in der Frauen und Männer gemeinsam beten. Das haben viele Islam-Verbände heftig kritisiert. Und die Initiatorin Seyran Ates erhält sogar Morddrohungen. Wie sehen Sie unter diesen Umständen die Chancen für Reformen im Islam?

In erster Linie  verurteile ich die Morddrohungen sehr stark. Außerdem war die Kritik nicht konstruktiv. Denn hier in Deutschland herrscht Meinungs- und Religionsfreiheit. Aber die Muslime sollten auf eine Sache achten: Die neue Mosche heißt Ibn Rushd-Goethe-Moschee. Was da ausgeübt wird, müssen die Muslime nicht auf sich oder den Islam beziehen. Ich finde aber, dass die Moschee-Gründung von Frau Ates falsch war, weil sie etwas erfindet, was keine Basis im Islam hat. Dann erbt man halt solche Kritik, wenn man das auch noch dem Islam zuschreibt. Man könnte hingegen sagen: „Das ist der Ibn Rushd-Goethe-Islam, der in der Ibn Rushd-Goethe-Moschee praktiziert wird.“ Das ist aber nicht geschehen. Man sollte es anders nennen. Jeder hat hierzulande die Religions- und Meinungsfreiheit.

12th MemoRise / Glaubenskrieger

Drastische Szenen kommen oft vor, wenn „12th MemoRise“ in die Öffentlichkeit tritt. Hier die Aufforderung, nicht erst aktiv zu werden, wenn die Köpfe von Familienmitgliedern rollen. (Foto © WDR/NEOS Film/Till Vielrose)

Die Chancen für eine Reformation im Islam bestehen

Noch einmal: Wie sehen Sie die Chancen für eine Reform des Islam?

Es ist sehr, sehr schwer. Denn in den arabischen und islamischen Ländern ist viel Blut geflossen. Eine Reformation im Islam muss anders interpretiert werden. Nicht Erneuerungen, sondern neues friedliches Verständnis des Islams. Zwischen dem heutigen Islam und dem Ursprung liegen 1.400 Jahre. Keiner von uns hat die Entstehung des Korans erlebt, den Propheten gesehen. Daher haben wir nur Überlieferungen, sehr verschiedene Überlieferungen. Wir haben ein Bild des Propheten in der er als gewalttätiger, frauengeiler und kriegsgeiler Mensch gezeigt wird. Und wir haben Überlieferungen, wo er sehr friedlich, sehr wissend, sehr weise, sehr menschlich beschrieben wird. Welches Bild nimmt man jetzt? Wir brauchen  mehr Aufklärung, mehr kritische Blicke und ein intensiveres Hinterfragen. Die Chance für eine Reformation im Islam besteht. Durch den IS und seine Taten sind sehr viele Menschen aufgewacht, die sich jetzt mit ihrer Religion intensiver auseinandersetzen. Das ist sehr wichtig. Leider musste es erst zu solchen Terrorakten kommen, dass die Muslime aufwachen. Andererseits: Auch der 30-jährige Krieg in Europa (1618–1648) hat gezeigt, dass viel Blut fließen musste, damit eine Reformation stattfinden konnte. In den islamischen Ländern fließt das Blut leider jetzt. Es gibt hier und da kritische Stimmen, und es gibt auch Reformerstimmen. Die Reformation ist auf dem Weg, jedoch müssen wir gut überlegen, wie wir das angehen. Das ist sehr schwierig. Wir müssen uns fragen, welches Bild vom Propheten wir nehmen.